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„Ballernde Männer“ gegen „vergewaltigte Frauen“: Monika Hauser berichtete im Königsdorfer Literaturforum von ihrem Einsatz für kriegstraumatisierte und vergewaltigte Frauen

Seit fast 16 Jahren setzt sich die Gynäkologin Monika Hauser mit ihrer Organisation „Medica Mondiale“ für vergewaltigete Frauen in Kriegs- und Krisengebieten in der ganzen Welt ein. Für ihr Engagement wurde sie unter anderem Ende 2008 mit dem „Right Livelihood Award“, dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Jetzt war sie zu Gast beim „Königsdorfer Literaturforum“ und berichtete in der evangelischen Christuskirche in Frechen-Königsdorf über ihre Arbeit und Erfahrungen.

Erfahrungen im patriarchalischen System
Tabuisierung, Stigmatisierung – dagegen begehrte die 1959 in der Schweiz geborene Monika Hauser schon früh auf. Mit auf dem Podium in der Christuskirche saß die Journalistin und „Emma“-Autorin Chantal Louis, die Auszüge aus ihrem Buch „Nicht aufhören anzufangen. Eine Ärztin im Einsatz für kriegstraumatisierte Frauen“ vortrug. Darin schildert sie auch die Erlebnisse der jungen Ärztin, die 1985 in ihrem Anerkennungsjahr in einem kleinen Krankenhaus in Südtirol arbeitete und dort auf ein patriarchalisches System mit verkrusteten Strukturen traf. „Ein feudalistischer Chefarzt und Geschichten von Prügel und Vergewaltigungen“, so die Autorin über diesen Abschnitt der Biografie von Monika Hauser. Sie nahm das Schweigen über die männliche Gewalt an Frauen nicht mehr hin, „sie bestellte die Männer zu sich und wusch ihnen den Kopf“, so Louis. Das trug ihr den Ruf einer Aufrüherin, einer Rebellin ein. Attribute, mit denen sie im Laufe ihrer Arbeit immer wieder von Männern bedacht wurde.

„Nicht die Opfer stigmatisieren, sondern die Täter“
„Meine Arbeit in Bosnien ist nicht aus dem Bauch heraus entstanden. Es begann lange vor Bosnien“, verdeutlichte Hauser, dass es Erlebnisse wie die in Südtirol waren, die sie geprägt und ihren weiteren Weg bestimmt haben. Im April 1993 wurde „Medica Zenica“, ein Zentrum für kriegsvergewaltigte und -traumatisierte Frauen, in der zentralbosnischen Stadt Zenica eröffnet. „Wir hatten keine Genehmigung, aber wir haben einfach angefangen“, berichtete die mutige Ärztin. Gegen Stigmatisierung und Tabuisierung, das waren auch hier die Impulse, die sie zum Eingreifen bewegten. „Nicht die Opfer, die Frauen gehörten stigmatisiert, sondern die Täter, die Männer.“ Fünf Frauen kamen als erste in das Zentrum, nach und nach wurden es immer mehr. Monika Hauser und ein Team aus bosnischen Ärztinnen und Psychologinnen kümmerten sich um die seelischen Wunden, die der Krieg bei ihnen hinterlassen hatte. Das stieß nicht nur auf Zustimmung, sondern wurde von der etablierten Männergesellschaft auch mit Skepsis betrachtet. „Monika Hauser musste den zuständigen Iman erst in langen Gesprächen überzeugen, bevor eine Ausnahmeregelung für einen Schwangerschaftsabbruch erreicht werden konnte“, berichtete Chantal Louis. Statt der ursprünglich erlaubten zehn Wochen konnten die nach einer Vergewaltigung schwanger gewordenen Frauen bis zum vierten Monat die Schwangerschaft abbrechen lassen.

Vergewaltigungsopfer von eigenen Familien isoliert
Die Frontlinien im Kriegsgebiet, das machte eine weitere Episode aus dem Buch von Chantal Louis deutlich, verlaufen für die Frauen nicht immer so eindeutig wie für die Männer. Der „Gegener“, das waren nicht nur marodierenden Soldaten, die sich über die Frauen hermachten, sondern oft auch die eigenen Familien, die die Vergewaltigungsopfer ablehnten, verstießen und isolierten. Im Kosovo lebten Frauen, die ihre Männer durch den Bürgerkrieg verloren hatten, am Rande der dörflichen Gesellschaft. „Medica Mondiale“, wie der von Hauser initiierte Verein mittlerweile hieß, initiierte ein Landwirtschaftsprojekt, das den Witwen Arbeit und ein Einkommen sichern sollte. Doch Frauen, die auf dem Feld arbeiten, hatten in der patriarchalischen Vorstellung keinen Platz und wurden abgelehnt. Ja, es kam sogar zu heftigen Drohungen und Gewaltanwendungen. Doch letztlich funktionierte das wie eine Genossenschaft aufgebaute Projekt. „medica Mondiale“ half den Frauen, eine Perspektive zu entwickeln, ihre Existenz selbstständig zu sichern und gab ihnen somit ein Stück Würde zurück, die sie durch die Kriegs- und Nachkriegserlebnisse verloren hatten.

Vergewaltigungen als Anzeichen für eskalierende Krisen
Bosnien, Kosovo, Afghanistan, Ruanda, Kongo – „Medica Mondiale“ ist mittlerweile weltweit mit Projekten im Einsatz, wenn es um Frauen in Krisengebieten geht. Vergewaltigung, so ihre Erkenntnis, ist nicht bloß eine Folge von Kriegen und Unruhen. „Sie sind der Lackmustest für eine sich verschärfende Krise. Sobald soziale Strukturen anfangen, sich aufzulösen, kommt es zu diesen Gewaltakten. Nimmt die Zahl der Vergewaltigungen zu, eskaliert die Krise und wird sogar zum Krieg.“ Dabei warnte sie davor, das Problem nur in Krisengebieten der Dritten Welt zu vermuten. „Auch in einem modernen Land wie Deutschland ist Vergewaltigung in der Ehe erst seit wenigen Jahren ein Straftatbestand.“

„Ballernde Männer“ gegen „vergewaltigte Frauen“
Aufgrund ihres internationalen Renomées wird Monika Hauser auch immer wieder als Expertin gehört, wenn es um das Thema Vergewaltigung geht. Dabei seien Auszeichnungen wie der alternative Nobelpreis oder die Medienarbeit allgemein wichtig, „um für eine Enttabuisierung des Themas zu sorgen und die Realität von Frauen zum Thema zu machen“. So beriet sie den Filmproduzenten Günter Rohrbach und den Regisseur Max Färberböck bei den Dreharbeiten zu dem Film „Anonyma – Eine Frau in Berlin“, der im vergangenen Jahr in die Kinos kam. Er schildert das Schicksal einer Frau in den ersten Tagen nach Ende des Zweiten Weltkrieges während der Besetzung durch sowjetische Truppen. „Es war der erste Spielfilm, der das Thema der Vergewaltigung von Frauen behandelt, fast 60 Jahre später“, sagte Chantal Louis. Waren ihre und Monika Hausers Erwartungen im Vorfeld groß, so waren sie enttäuscht von der geringen öffentlichen Aufmerksamkeit, die der Film erfuhr. „Als deutscher Film bewirbt sich jetzt ,Der Baader-Meinhoff-Komplex‘ um den Oscar. Die ballernden Männer bekommen internationales Aufsehen, die vergewaltigten Frauen werden wieder einmal ignoriert“, drückte sie diese Enttäuschung sehr plastisch aus.

„Querdenker“ im Literaturforum
Rund 120 Zuhörerinnen und Zuhörer im Gemeindesaal waren mehr als beeindruckt von den Schilderungen und Erzählungen der beiden Frauen. Moderator Jürgen Streich freute sich, mit dem Thema so viel Aufmerksamkeit erreicht zu haben. „Als Autor habe ich mich intensiv mit dem alternativen Nobelpreis beschäftigt. So entstand die Idee, Monika Hauser nach Königsdorf einzuladen“, erzählte er. Vor fünf Jahren initiierte er das „Königsdorfer Literaturforum“, das seitdem regelmäßig alle drei Monate in der Christuskirche stattfindet. „Querdenker“ wie Monika Hauser haben schon öfter dort vorbeigeschaut. Der Journalist und Autor Günter Wallraff gehörten ebenso dazu wie der Fernsehjournalist Klaus Bednarz.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Medica Mondiale