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BACH! Mit Chorus Musicus Köln – Das Neue Orchester – Christoph Spering

Die Gegensätze hätten am Nachmittag des 23. April kaum größer sein können: rund um die Trinitatiskirche hektisches Treiben und ein großes Aufgebot an Polizei und Ordnungskräften, das einen in einem nahe gelegenen Hotel zu Ende gehenden Parteitag, der Köln zwei Tage in Atem gehalten hatte, schützte. Im Inneren der Trinitatiskirche zunächst eine wohltuende, beinahe meditative Stille und dann ab 17 Uhr ein hochkarätiges Konzert mit österlicher Kantatenmusik von Johann Sebastian Bach. Dieses Wechselbad der Eindrücke bot sich den rund 100 Hörerinnen und Hörern, die allen Widrigkeiten zum Trotz den Weg in Kölns zentrale evangelische Kulturkirche gefunden hatten.

Chorkonzerte haben in der Trinitatiskirche aufgrund ihrer hervorragenden Akustik für Vokal- und Instrumentalmusik eine jahrzehntelange Tradition. Vor allem aber seit 2010 kommen regelmäßig die renommiertesten Chöre und Orchester der Region zu ihren Konzerten gerne in die klassizistische Basilika. Zusätzlich hat das Netzwerk Kölner Chöre, ein Zusammenschluss von zwölf bekannten Chören aus Köln und der Region, seit 2017 in der Trinitatiskirche die neue, sechsteilige Reihe „Kölner Chorkonzerte extra“ ins Leben gerufen. Martin Blankenburg, der das Netzwerk leitet, sagt dazu: „Kölner Chorkonzerte extra – das steht für große Chormusik, dargeboten von den bedeutenden Konzertchören der Stadt. Die Trinitatiskirche hat sich als idealer Veranstaltungsort für Musikprojekte erwiesen, und das Netzwerk Kölner Chöre präsentiert hier neben bekannten Meisterwerken auch immer wieder "Geheimtipps" der Chorliteratur.“

Diesem Anspruch wurde das Konzert mit dem „Chorus Musicus Köln“, mit „Das Neue Orchester“ und unter Leitung von Christoph Spering mehr als gerecht. Spering, der vor einigen Jahren für seine herausragenden Leistungen den Titel „Kirchenmusikdirektor“ verliehen bekam, ist einerseits Kantor und Kirchenmusiker in der rechtsrheinischen evangelischen Gemeinde Mülheim am Rhein. Andererseits hat er sich in mehr als drei Jahrzehnten in der Szene für Alte Musik einen exzellenten Ruf als professioneller Dirigent erarbeitet, dessen Konzerte und CD-Produktionen international sehr geschätzt werden und der sich bei seinen Interpretationen sehr eng an den aktuellen Forschungsergebnissen der historischen Aufführungspraxis orientiert.

Dass „Das Neue Orchester“ und der „Chorus Musicus Köln“, die beide in einer Kammerbesetzung von jeweils einfach besetzten Streichern und Orgel sowie mit einer sehr überschaubaren Zahl von achtzehn Sängerinnen und Sängern auftraten, klangschön, gut intoniert und insgesamt sehr homogen und auf professionellem Niveau agierten, bedarf eigentlich keiner besonderen Erwähnung. Alles andere wäre für das Publikum eine Überraschung gewesen.
Das Besondere des Konzertes verbarg sich in seinem Titel. „Gesprächskonzert“ hatte Christoph Spering den Chorabend überschrieben, in dessen Mittelpunkt die berühmte Kantate „Christ lag in Todesbanden“ BWV 4 von Johann Sebastian Bach stand, welche zu Beginn zunächst komplett aufgeführt wurde. Im dann folgenden „Gesprächs-“ und Erläuterungsteil lieferte Spering ein Musterbeispiel für moderne Konzertpädagogik. In einer für musikalische Fachleute und Laien gleichermaßen verständlichen und anschaulichen Sprache vermittelte er in einer guten Balance zwischen musikalischen Fakten, musikgeschichtlichen Hintergründen und hintergründigem Witz viel Wissenswertes rund um Bach, seine Komponistenkollegen und sein Werk. Dabei boten die Musikerinnen und Musiker in Chor und Orchester auf ein Zeichen des Dirigenten stets die passenden Hörprobe.

„Gesprächskonzerte“, so ließ Spering gleich zu Beginn wissen, „haben gerade in Köln eine lange Tradition“ und er verwies dabei auf Günther Wand. Der berühmte Generalmusikdirektor Kölns, der das Gürzenichorchester von 1946 bis 1974 geleitet hatte, setzte bereits in den fünfziger Jahren regelmäßig zeitgenössische Musik aufs Programm. „Oftmals erschließt sich ein Stück erst beim zweiten Hören“, soll Wand gesagt und ein Werk nach den entsprechenden Erläuterungen ein zweites Mal gespielt haben. Das Publikum höre die Musik dann beim zweiten Mal „mit anderen Ohren“.

Genau dies war auch in der Trinitatiskirche zu erleben. Spering ließ seine Hörerinnen und Hörer zunächst wissen, dass die Kantate BWV 4 ein sehr frühes Werk aus Bachs Zeit in Mühlhausen in Thüringen ist. Wahrscheinlich, so Spering, sei es für den Ostersonntag 1707 oder 1708 komponiert worden. Spering erläuterte kundig und mit heiterem Unterton Kompositionsstil, -techniken und die Zahlensymbolik bei Bach: „Wussten Sie“, so fragte Spering, „dass BACH die Vierzehn ist?“ Nummeriere man die Zahlen im Alphabet, sei B die 2, A die 1, C die 3 und H die 4. Zusammen also 14. Und vierzehn Takte habe auch der Eröffnungssatz der Kantate. Dies, so Spering, lasse die Vermutung zu, dass Bach an dieser und vielen anderen Stellen seinen Namen in die Musik eingearbeitet habe. Egal ob bei Tempofragen oder Überlegungen zur Besetzung: überall wusste Spering Interessantes und Spannendes zu berichten. Und alles mündete in der Feststellung: „Egal ob Sie Bachs Musik auf der Mundharmonika oder auch mit einem 90-köpfigen Chor singen: Das kriegen Sie nicht kaputt“, lobte Spering die außerordentliche Qualität der Bachschen Kompositionen, die auch für ihn jedes Mal wieder etwas Neues zu Tage bringe.

Das kurzweilige Gesprächskonzert von Christoph Spering und seinem Ensemble machte jedenfalls Lust auf mehr und sicher konnten die Zuhörerinnen und Zuhörer bei der abschließenden zweiten Aufführung die Kantate anders und mit anderen Ohren hören.

Das nächste Konzert der Reihe „Chorkonzerte extra“ wird am 25. Juni, 17 Uhr, stattfinden. Dann tritt die Kartäuserkantorei mit französischer Musik für Chor und Orgel auf. Wie immer in dieser Reihe waren Publikum und Mitwirkende hinterher zum Gedankenaustausch bei Getränken und Brezeln eingeladen. Ein schöner Brauch, der die anfängliche Hektik auf der Straße, den Parteitag und die zwischenzeitlich abgerückten Ordnungskräfte vollends vergessen ließ.

Text: Wolf-Rüdiger Spieler
Foto(s): Wolf-Rüdiger Spieler