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Ausstellung zu Günter Grass in der Trinitatiskirche eröffnet

Zwei Zeichnungen, 13 Radierungen und neun Lithografien, dazu eine vergrößerte Reproduktion seines „Golgatha“-Motivs: Eine übersichtliche, aber feine Auswahl aus dem großen bildkünstlerischen Werk von Günter Grass ist bis zum 17. Oktober 2012 im Rahmen des Kulturprogramms des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region an der Trinitatiskirche ausgestellt. Die Vernissage der Präsentation wurde mit der Eröffnung eines zweitägigen Kongresses zum Werk des Schriftstellers und bildenden Künstlers verbunden. Beide Veranstaltungen (die Tagung ist inzwischen beendet) tragen denselben Titel: „Von Katz und Maus und mea culpa‘ – Religiöse Motive bei Günter Grass“.

Fundiert mit religiösen Motiven beschäftigt
„Von seinen frühesten Veröffentlichungen aus den 1950er Jahren bis zu aktuellen Werken: Günter Grass hat sich in seinen Werken immer wieder sehr fundiert mit religiösen und vor allem mit christlichen Motiven beschäftigt, sowohl als Autor als auch als bildender Künstler“, verwies Stadtsuperintendent Rolf Domning in seiner Begrüßung beispielsweise auf den Roman „Die Rättin“. Darin habe er sich dezidiert mit Luthers Sprachschaffen und der Gattung der Apokalypse auseinandergesetzt. Er tue „dies nicht als gläubiger Christ“, bemerkte Domning. „Eigenen Angaben zufolge hat er früh den Glauben an Gott verloren“ und sei später „dann aus Protest aus der Kirche ausgetreten“. Grass kritisiere Scheinheiligkeit, überprüfe „Glaubensinhalte und Hoffnungen und schreibt an alten Motiven weiter“. Dies sei nicht immer gefällig, solle auch nicht immer gefallen. „Es regt aber stets zu lebhaften Diskussionen an. Und das Nachdenken und debattieren über Fragen von Glaube und Zweifel ist ja sich nichts Schlechtes, eigentlich sogar etwas Ur-protestantisches.“

Klassische katholische Kindheit
Die Ausstellung anlässlich des 85. Geburtstages von Grass im Oktober hat kuratiert Professor Dr. Volker Neuhaus. Der renommierte Germanist und emeritierte Professor für Neuere Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Uni Köln gilt laut Germanist Dr. Anselm Weyer (Literaturbeauftragter des Arbeitskreises Trinitatiskirche, Organisator und Leiter der Grass-Tagung) als DER Grass-Kenner. Heute lebt Neuhaus in Osnabrück. Bevor er die etwa 50 Besuchenden zu einem Rundgang durch die Ausstellung einlud, stattete er sie mit hilfreichen Kenntnissen aus. So benannte Neuhaus die Wurzeln von Grass. Zu diesen zähle eine klassische katholische Kindheit, in der er sich vorkonziliarem Religionsunterricht ausgesetzt gesehen habe. Die wichtigste Wurzel sei der Aufenthalt (1947 bis 1949) in einem von Franziskanern geleiteten Lehrlingsheim in Düsseldorf gewesen. Die Patres seien von ihrem Lehrling sehr begeistert gewesen, hat Neuhaus herausgefunden. Und Grass wiederum habe betont, dass er ihnen bildungsmäßig viel zu verdanken habe. „Aber sie haben ihn glaubensmäßig nicht zurückbringen können“, so Neuhaus. Gleichwohl: Die Glaubenswelt der Franziskaner sei geprägt von einer Leidensideologie, „ihr Kreuzweg ist ohne Auferstehung, er endet mit der Grablegung“. Diesen Weg sei Grass mitgegangen.

Professor Neuhaus führt durch die Ausstellung



„Überraschende Präsenz des Kreuzes“
In dessen bildkünstlerischem Werk stellte Neuhaus „eine überraschende Präsenz des Kreuzes“ fest, eine lebenslange Auseinandersetzung mit dem Kreuz und der Apokalypse. Die „Rattenkreuzigung“ („Golgatha“) aus der Radierungsserie „Die Rättin“ habe ihm unter anderem den Vorwurf der Blasphemie eingebracht. Das treffe jedoch nicht zu. Grass habe sich nicht über die Kreuzigung lustig gemacht. „Die Kreuzigung bei Grass bedarf der Deutung, wie auch Jesu Kreuzigung der Deutung bedarf.“ Grass verstehe das Kreuz als Essenz des negativen Urraumes. Der Mensch werde vom Mensch gekreuzigt. Das Kreuz zeige somit unbestreitbar die ganze Verworfenheit des Menschen. Mit dem Motiv habe Grass sich seit den 50er Jahren bis 2011 beschäftigt. Insgesamt blicke er auf ein „riesiges bildkünstlerisches Werk“. Neuhaus stellte bei Grass einen fast regelmäßigen Wechsel von Phasen fest, in denen er sich entweder intensiv der Kunst (dem Zeichnen, der Druckgrafik, zuletzt auch der Bildhauerei) der Lyrik oder der Epik widme. Allein das schon mache deutlich, dass bei Grass Bild und Roman eigenständig seien, sich jedoch „wechselseitig inspirieren könnten“, so Weyer.

Zwei tote Eulen im Dickicht
Die Ausstellung in der Trinitatiskirche konzentriert sich auf Grass´ „apokalyptische Epoche“, entstanden in den 1980er Jahren bis hinein in die Neunziger. Diese Arbeiten beschäftigen sich mit dem Thema Apokalypse. Mit Weltuntergang, hervorgerufen durch eine atomare Katastrophe, Hunger in der Welt und drittens eine Umweltkatastrophe, die Grass an der Zerstörung von Wald festmacht. Zum Thema Waldsterben hat er die Lithografie-Folge „Totes Holz“ („Kahlschlag in unseren Köpfen“) realisiert. Um tote Wälder zu zeichnen, durchstreifte er auch jenseits der deutschen Grenze Abschnitte des Erzgebirges. Zu den Darstellungen gehören zwei tote Eulen im Dickicht. Sie habe Grass, erläuterte Neuhaus im Rahmen seines überaus aufschlussreichen Rundganges, als Eulen der Minerva gedeutet, als drohende Faust über dem Wald.

Allein die Ratten überleben
Ebenso erhellend erklärte Neuhaus die Arbeiten, die Grass im Vorfeld seines Romans „Die Rättin“ radierte. In dieser Serie sei das Blatt „Rattenkreuzigung“, das auch die „schwarze Sonne“ des Johannes zitiert, als „letzte Erinnerung an die Menschen“ zu verstehen. Sie seien nach einem Atomkrieg ausgelöscht worden. Allein die Ratten, das zeigen die folgenden Motive, hätten überlebt, übten nun den aufrechten Gang. Sie stünden als einzige Hoffnung für die Regeneration der Erde. Zu den Grafik-Motiven gehört auch das einer „Lesenden Ratte“, die sich mit der Geschichte des Menschen beschäftigt, alles aufnimmt, das Buchwissen in sich hineinfrisst und derart informiert einem tagträumenden Erzähler das untergegangene menschliche Zeitalter und die Vision vom Weltuntergang einflüstert. Für den Menschen gibt es keine „Erlösung“. Wie die Radierung „Memento mori“ zeigt, in der eine Ratte auf einem menschlichen Schädel sitzt, dominieren die Nagetiere. In dieser Grafik-Serie habe Grass beispielhaft Motive ausprobiert, bevor er sie episch, im Roman, niedergesetzt. Grass, dem Neuhaus eine immense „Bild-Bildung“ und Kunst-Kennerschaft attestierte, habe vom Christentum die Kategorie der Verantwortung übernommen. „Verantwortung zieht Schuld nach sich.“ Aus irdischer Mündigkeit erwachse die Annahme von Verantwortung und Schuld. „Das hat Grass in seinen Grafiken auf den Punkt gebracht.“

Bedeutender Repräsentant der Moderne
Zum Einstieg in den Kongress, der an den beiden Folgetagen anberaumt war, sprach Professor Dr. Norbert Honsza aus Lodz über „Günter Grass – ein Künstler von Weltrang“. Sich auf den Autor Grass beschränkend, skizzierte der polnische Germanist und Grass-Spezialist die „magnetische Wirkung“ seiner Persönlichkeit, „die Anziehungskraft seines künstlerischen Schaffens“. Unantastbar sei „seine Position als der einzig lebende deutsche Großautor und bedeutendster Repräsentant der Moderne“. Bei Grass stellt Honsza „jene seltsame Mischung von Imagination und Genauigkeit“ fest, „die so eine große Wirkung auf die Weltliteratur hat“. Kritik und Literaturforschung seien sich „teilweise einig, dass Grass zu den ganz wenigen Autoren gehört, die den literarischen Diskurs mit dem Politischen zu verschmelzen wissen“. Dies habe eine geradezu programmatische Bedeutung. „Wie kein anderer vertritt er seit jeher mit einer unglaublichen Sprachgewalt eine Moral, die die alltägliche Menschenwürde verteidigt.“

„… wenn mich die Wahrheit langweilt“
Grass´ Schreiben, zitierte der profilierte Förderer der deutschsprachigen Literatur in Polen seinen deutschen Kollegen Volker Neuhaus, gelte „von der ´Blechtrommel´ bis zu ´Ein weites Feld´ den Opfern, den Unterlegenen, denen, denen es selbst die Sprache verschlagen hat, die für immer verstummt sind“. Die Langzeitwirkung von Grass´ Klischee zerstörendem Debütroman „Die Blechtrommel“ verglich Honsza mit der von Werken Franz Kafkas, Thomas Manns und Bertolt Brechts. Honsza, dem laut Anselm Weyer die polnische, deutsche, internationale Germanistik viel zu verdanken hat, zeigte sich als Bewunderer von Grass´ Verfremdung der Perspektive: „Früh begriffen, dass ich immer dann Lügen brauchte, mit ihnen spielen musste, wenn mich die Wahrheit langweilte“, zitierte Honsza den ,“bewundernswerten Pragmatiker“ Grass.

Weitere Veranstaltungen und Ausstellungszeiten
Die Grass-Ausstellung in der Kölner Trinitatiskirche, Filzengraben 4, ist bis einschließlich 17. Oktober geöffnet: mittwochs von 10 bis 12 Uhr, donnerstags von 16 bis 18 Uhr, sonntags von 11 bis 13 Uhr sowie während der Veranstaltungen; zusätzlich am Dienstag, 16. Oktober, am 85. Geburtstag von Günter Grass, von 16 bis 19 Uhr. Am Sonntag, 30. September, 13 Uhr, widmet sich Dr. Anselm Weyer in einer Führung durch die Ausstellung insbesondere den Parallelen zwischen dem bildkünstlerischen Werk und der Literatur des Nobelpreisträgers.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich