You are currently viewing Ausgegrenzt: Ein neuer Stadtspaziergang auf den Spuren von historischem Elend

Ausgegrenzt: Ein neuer Stadtspaziergang auf den Spuren von historischem Elend

Menschen, die von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Menschen, die freiwillig oder notgedrungen außerhalb der gesellschaftlichen Normen lebten. Ihnen widmet sich der spannende neue Stadtspaziergang „Ausgegrenzt in Köln“, eine neue Veranstaltung im Stadtführungsangebot „Köln mit anderen Augen“ der Evangelischen Informationsstelle Köln.  Zum Auftakt wandelten die Teilnehmenden auf den Spuren von Prostituierten, Homosexuellen und Henkern, Gauklern, Bettlern und Kranken. „Ich gehe dabei auf die mittelalterlichen, früheren Verhältnisse ein“, betonte Stadtführerin Ilona Priebe. „Jeder möge für sich die Verbindungen zur Gegenwart ziehen.“

In der Antoniterkirche vom „Antoniusfeuer“ geheilt
Den Anfang nahm die Tour durch die westliche Innenstadt an der Antoniterkirche. Bevor diese 1802 den Protestanten übergeben wurde, gehörte sie dem Antoniter-Orden. Dieser kümmerte sich in seinem Hospital um die vom Heiligen Feuer oder Antoniusfeuer befallenen Menschen, eine rätselhafte Krankheit, bei der die Gliedmaßen verfaulten. Entstellung und Amputation, Ausgrenzung und Tod waren die Folgen. Die Antoniter hatten eine besondere Heilmethode entwickelt. Sie achteten auf Sauberkeit und verabreichten ein spezielles Heilwasser. Die Ernährung mit Brot aus gutem Getreide trug ein übriges zur Gesundung bei. Denn der  – damals noch unbekannte – Auslöser  war eine Mutterkorn-Vergiftung. Geheilte hatten die Möglichkeit, in die Gesellschaft zurückzukehren – oft als Bettler.

Betteln für die Reichen
„Bettler waren in der mittelalterlichen Gesellschaft, bis ins 16. Jahrhundert, relativ notwendig und in das Sozialgefüge integriert“, sagte Priebe. Denn man war aufeinander angewiesen. Da die Reichen selbst nicht genügend Zeit hatten, regelmäßig für ihr eigenes Seelenheil zu beten, gaben sie den Bettlern Almosen, damit diese stellvertretend die Gebete sprachen. Zudem verkürzte das Verteilen von milden Gaben, so die Meinung, die Zeit im Fegefeuer. Krankheit wurde als Strafe Gottes betrachtet. Je schwerer die Behinderung, desto größer die Sünde des Opfers. Wer unverschuldet verarmte, beispielsweise durch Krankheit, konnte einen kirchlichen Bettelbrief beantragen. Dieser regelte das Bettlerwesen. Bettelei allein aus Müßiggang dagegen wurde nicht akzeptiert.

Anrüchig: Leprakranke und Postituierte
Auch die Leprakranken, die weitgehend isoliert außerhalb der Stadt auf Melaten lebten, waren auf Almosen angewiesen. Bei ihren Besuchen in der Stadt ging den Aussätzigen ein Schellenmännchen voran, welches mit akustischen Signalen die Gruppe frühzeitig ankündigte und Passanten ermöglichte, sicheren Abstand zu halten. Die Gegend Auf dem Berlich/ Schwalbengasse war besonders anrüchig. Hier stand das Haus der schönen Frauen, das Bordell. „Die Prostituierten waren zunächst nicht ausgegrenzt“, informierte Priebe. „Sie waren irgendwie akzeptiert, gebilligt auch von kirchlicher Seite.“ Damit die Körpersäfte im Gleichgewicht blieben, war es unverheirateten Männern, Witwern und mitunter Pfarrern gestattet, ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Verheirateten dagegen drohten demütigende Ehrenstrafen. Mit der Ausbreitung der Syphilis im 16. Jahrhundert wandelte sich die tolerante Haltung. Dirnen gerieten in Verruf, das Freudenhaus mitsamt seiner kleinen Bademöglichkeit wurde geschlossen. Ebenso alle Badehäuser, die Mann auch wegen der Möglichkeit zur käuflichen Liebe aufsuchte. Der Grund für die Schließungen: Man ging davon aus, dass die (Geschlechts-)Krankheit sich über das Wasser überträgt. Fortan war allgemein die Berührung mit Wasser verpönt. Körperhygiene beschränkte sich, wenn überhaupt, auf Puder und Parfüm. Die Menschen stanken meilenweit gegen den Wind.

Homosexuelle: „Abschaum der Stadt“
„Weil sie nicht der Fortpflanzung dient, wurde Homosexualität schwer bestraft“, erzählte Priebe. „Das Schlimmste, was einem passieren konnte, war die Ausweisung aus der Stadt.“ In der Regel wurde zudem das Wohnhaus beschlagnahmt. Eine entscheidende Rolle spielte dabei der gesellschaftliche Status der verdächtigen Person, wies Priebe auf den schon damals üblichen kölschen Klüngel hin. Bei Angehörigen der oberen Schichten verliefen die Untersuchungen nämlich nicht selten im Sande. Im Altengrabengäßchen, das heute von der Mauer des Erzbischöflichen Sitzes an der Kardinal-Frings-Straße begrenzt wird (Foto), lebte im 16. und 17. Jahrhundert „der Abschaum der Stadt“, zitierte Priebe alte Quellen.

Der Henker und seine Büttel
Noch 1811, als Napoleon das französisch besetzte Köln besuchte, zeigte sich der Regent über die Armut in diesem Bezirk erschüttert. Neben Dirnen hausten hier die Kloakenreiniger, „Goldgräber“ genannt, die den Inhalt der zumeist öffentlichen Latrinen verbotenerweise und wenig Hygiene freundlich auch in den Rhein kippten. Wie die Talgsieder, die aus Tierkadavern Fett gewannen, die Abdecker und Hundetotschläger übten sie einen zwar öffentlichen, aber unehrenhaften Beruf aus. Beaufsichtigt bzw. kontrolliert wurden sie vom Henker, der ebenfalls hier wohnte. Zwar gut dotiert, zählte seine Tätigkeit ebenso zu den unehrenhaften, sein Ansehen war äußerst schlecht. Bis im 15. Jahrhundert noch in der Stadtmitte am Alter Markt angesiedelt, zählten der Henker und seine Büttel seitdem auch geographisch zu den Ausgegrenzten. Mitglieder angesehener Familien wurden auf dem Heumarkt enthauptet, zeigte Priebe Klassenunterschiede selbst bei der Vollstreckung von Todesurteilen auf. Während die „besseren Leute“ also inmitten der Stadt und damit innerhalb der Gesellschaft auf schnelle Art zu Tode kamen, wurden Vertreter unterer Schichten auf Melaten, auf der Hinrichtungsstätte vor den Stadttoren, gehängt, qualvoll gerädert oder gevierteilt.

Informationen zu weiteren Terminen von „Ausgrenzt in Köln“ und anderen Stadtführungen der Evangelischen Informationsstelle Köln erhalten Sie im Citypavillon an der Antoniterkirche, Schildergasse 67, telefonisch unter 0221/ 6605720

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich