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„Aufstieg in die Bundesliga der Archive“

Strahlende Sonne über Frechen, eitel Sonnenschein im Gemeindesaal der Evangelischen Kirche an der Hauptstraße. Dort gab Pfarrerin Almuth Koch-Torjuul in einem Pressegespräch bekannt, dass die Maßnahmen zur Bestandserhaltung und Modernisierung des Gemeindearchivs weitgehend abgeschlossen sind. Herzlich dankte sie Dr. Lothar Weiß, der als Presbyter und Archivbeauftragter der Evangelischen Kirchengemeinde Frechen das außergewöhnliche Projekt koordiniert hat.

Ebenso sprach sie den Kooperationspartnern ihren Dank aus: dem Archivberatungs- und Fortbildungszentrum des Landschaftsverbandes Rheinland in Pulheim-Brauweiler (LVR-AFZ), dem Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland, dem Archiv des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region sowie dem Stadtarchiv Frechen.

Ältestes erhaltene Protokollbuch
Präsentiert wurde eine Auswahl der Archivalien, darunter das älteste erhaltene Protokollbuch. Abgesehen von einer Lücke zwischen 1608 und 1652, deckt der Band die Jahre 1582 bis 1754 ab. Er ist Bestandteil eines der bedeutendsten evangelischen Gemeindearchive im Rheinland. Das rührt von dem Alter und der Dichte der Überlieferungen her. Die Evangelische Kirchengemeinde Frechen ist nicht nur die älteste evangelische Kirchengemeinde im Kölner Raum, sondern eine der ältesten im Rheinland.

Heimliche Gemeinden wurden öffentlich
Koch-Torjuul, Vorsitzende des Presbyteriums der Frechener Kirchengemeinde, begrüßte zahlreiche am Gesamtprojekt Beteiligte. Sie veranschaulichten aus ihrer Perspektive insbesondere die Notwendigkeit, Bedeutung und den Umfang der verschiedenen, für ein Gemeindearchiv teils herausragenden Maßnahmen. Voran stellte Dr. Thomas Hübner, Pfarrer in Köln-Rondorf und Synodalbeauftragter des Kirchenkreises Köln-Süd für das Archivwesen, einen kurzen Überblick zur evangelischen Geschichte in Frechen und Umgebung. Zu dieser gehört auch Köln, wo es bis zur 1794 anbrechenden napoleonischen Zeit allein heimliche evangelischen Gemeinden gab. Die Kölner Evangelischen mussten daher zum Gottesdienst ausweichen nach Frechen, wo 1543 die erste evangelische Predigt gehalten wurde, und Mülheim am Rhein, damals beide gelegen im Herzogtum Jülich-Kleve-Berg. Erst mit dem Einzug der Franzosen in die Domstadt wurden die heimlichen Gemeinden öffentlich. „Es erfolgt die Trennung von Staat und Kirche, Religionsfrage wird Privatsache.“ Zunächst lutherisch geprägt, habe sich die Frechener Gemeinde 1573 dem reformierten Bekenntnis angeschlossen und sei im 19. Jahrhundert der Union beigetreten.

„Neun eigenständige Töchter und Enkel“
Auch Weiß stieg zunächst in die Historie ein. So erinnerte er an die einst große Ausdehnung des Gemeindegebietes, auf dem nach und nach „neun eigenständige Töchter und Enkel“ gegründet worden seien. Zentral ließ Weiß die Schritte von der Vorbereitung bis zum Abschluss der Archivsicherung Revue passieren. 2012 habe man im Zuge der Planung, zum 300-jährigen Bestehen der evangelischen Kirche in Frechen 2017 eine Publikation zu erstellen, erkannt: „Es gibt Probleme der dauerhaften Sicherung des Archivgutes und der Übersicht im Archiv.“ Namentlich mit der „Alterung von Protokollbänden und Kirchenbüchern durch säurehaltiges Papier“. Auch seien die Bestände, deren größter Teil seit 2008 als Depositum im Archiv des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region liegt, nicht vollständig verzeichnet gewesen.

Kosten konnten gesenkt werden
Zwecks Bestandserhaltung und Modernisierung wandte sich das Presbyterium an das LVR-AFZ. „Außergewöhnlich bedeutend“, urteilten Mitarbeitende wie die Leiterin Dr. Claudia Kauertz. Das beförderte die Entscheidung des Presbyteriums, die Sicherung des Bestandes in Angriff zu nehmen. „Und zwar ausschließlich nach archivwissenschaftlichen Standards“, so Weiß. „Es ist uns eine hohe Motivation gewesen, in das Archiv zu investieren“, erinnert Weiß. Einmütig habe sich das Presbyterium hinter das Archiv gestellt. Auch mit Finanzkirchmeister Jürgen Schaufuß habe es darüber keine Debatte gegeben. Förderungen durch den Bund, das Land Nordrhein-Westfalen, den Landschaftsverband Rheinland und das Archiv der Landeskirche hätten jedoch die Kosten erheblich gesenkt.

Erst die siebte Gemeinde im Rheinland
„Ohne Bestände gibt es kein Archiv“, diktierte Kauertz nur scheinbar Banales in die Notizblöcke. Für die Erhaltung der Originale müsse man alles tun, „das ist etwas Aktives“, freute sich die Leiterin der LVR-Archivberatung, dass die Gemeinde den Empfehlungen der Experten gefolgt sei. Auch was die Mengenentsäuerung betreffe. Dadurch werde im seit circa 1840 industriell hergestellten Papier, dem man statt Lumpen Holzschliff hinzugegeben und mit sauren Harzleimen stabilisiert habe, die Säure neutralisiert. Der endogene Zerfall des Papiers werde verlangsamt und die Lebensdauer der Dokumente um hundert Jahre verlängert. Für das Archiv einer rheinischen evangelischen Gemeinde stelle diese Maßnahme einen Präzedenzfall dar, hob Kauertz hervor. Und in Sachen Restaurierung sowie Digitalisierung sei die Frechener Gemeinde seit den 1960er Jahren erst die siebte im Rheinland. „Das findet sonst auf Gemeindeebene nicht statt. Damit ist die Gemeinde ihrer besonderen Verantwortung gerecht geworden. Dieses Archiv ist unter den evangelischen Gemeinden im Rheinland singulär.“

Frechener Archiv ist das erste seiner Art
Deshalb sei es auch der richtige Kandidat für eine Bundessicherungsverfilmung gewesen. Dieses in den 1960er Jahren gestartete Programm nehme allein historisch wertvolle Archive auf. Bestände würden auf Bundeskosten verfilmt und im Barbarastollen in Oberried bei Freiburg eingelagert. „Das Frechener Archiv ist das erste seiner Art im Rheinland, das in die Bundessicherungsverfilmung aufgenommen wurde. Sie sind damit als Kulturgutbesitzer zertifiziert. Im Frühjahr 2016 werden die Filme in den Stollen eingelagert“, informierte Kauertz. Zuvor bereits hatte Weiß selbstbewusst den „Aufstieg des Gemeindearchivs in die Bundesliga der Archive“ festgestellt.

Vorreiter auf Landesebene
Dessen Bestände würden (weiterhin) im Archiv des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region sowie im Stadtarchiv Frechen hinterlegt, so Weiß. Darunter auch ein Duplikat der Sicherungsverfilmung. Die von diesen angefertigten rund 60.000 Digitalisaten sollen im Stadtarchiv Frechen auf einem Notebook zur Verfügung gestellt werden. Zumindest die ältere Überlieferung. „Für Informationen ab dem 20. Jahrhundert gibt es wegen der bestehenden archiv-, datenschutz- und urheberrechtlichen Bestimmungen allerdings Grenzen.“ Zudem sollen die Findbücher im regionalen Archivportal „archive.nrw.de“ präsentiert werden – auch damit sei die Gemeinde Vorreiter auf Landesebene.

Christian Parow-Souchon, Archivar des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, mit einem der Duplikatfilme der Sicherungsverfilmung

Einfriedung eines bestimmten Friedhofes
Überlieferungen lebten von der Gegenüberlieferung der Dokumente. Und Gegenüberlieferung komme auch aus den Depositen, betonte Christian Parow-Souchon, Archivar des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region. Dort ergänzen wenige Gemeindearchive die Kirchenkreis- und Verbandsarchive. Mittels Gemeindearchiven könnten etwa Fragen danach beantwortet werden, „wer sich um die Einfriedung eines bestimmten Friedhofes kümmern muss“. Auch Erbschaftsgerichte würden Kirchenbücher heranziehen, betonte Parow-Souchon. Ebenso gehöre die Ahnenforschung zu den berechtigten Interessen Dritter, die Einsicht nehmen wollten. Koch-Torjuul betonte den historischen Wert des Archivbestandes mit seinen Chroniken, Plänen, Protokollbänden und Kirchenbüchern, Vermögens- und Kassenverzeichnissen. In ihnen spiegelten sich die zeitgenössischen gesellschaftlichen Verhältnisse wider.

„Diese Pläne werden wir hegen und pflegen“
Diplom-Archivar Alexander Entius hob dankbar die Zielstrebigkeit der Gemeinde hervor, ihr Archiv „sattelfest“ zu machen. Dies sei auch aus lokalhistorischer Sicht sehr zu begrüßen, so der Leiter des Stadtarchivs Frechen. Denn die Dokumente sprächen doch eine deutliche Sprache, ergänzten somit die vorhandene kommunale Überlieferung nicht nur in der frühen Zeit hinsichtlich Stadt-, Kirchen-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Im Stadtarchiv, wenige hundert Meter von der Evangelischen Kirche entfernt, liegen über 20 Pläne des Kölner Architekturbüros Schreiterer & Below als Depositum der Gemeinde. Nach diesen und weiteren Plänen von Emil Schreiterer und Bernhard Below war von 1914 bis 1921 die evangelische Kirche umgebaut und erweitert worden. „Diese Pläne werden wir hegen und pflegen“, versprach Entius. Er betonte das Verdienst des vorausschauenden Presbyteriums, „dass alle sich mitgenommen fühlten“. Und der Archivar hofft, dass das Beispiel der evangelischen Gemeinde in Frechen Schule macht und auch andere Einrichtungen in der Stadt in die Sicherung ihres jeweiligen Archivs investieren.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich