„Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, zitierte Christiane Neufang Martin Luther. „Auch wir stehen heute Abend hier, und können nicht anders“, richtete sich die Pfarrerin der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) an den Hochschulen in Köln an die Zuhörenden im Uni- Hörsaal A2.
In ihrer Einleitung zur Veranstaltung „Aufstehen gegen Stammtischparolen – Was ist falsch an der AfD?“ ging die Theologin auch bestärkend auf den Aufruf der evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen zur Landtagswahl ein und forderte: „Machen Sie von Ihrem Wahlrecht Gebrauch!“
Veranstaltung von ESG, KHG und AStA
Wenige Tage vor der Wahl in NRW hatte die ESG gemeinsam mit der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Köln und dem Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) der Uni Köln zur Diskussion mit dem Journalisten und Autor Justus Bender eingeladen. Der gebürtige Bonner, Jahrgang 1981, ist politischer Redakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung und AfD-Experte. „Was will die AfD – Eine Partei verändert Deutschland“ heißt sein aktuelles Buch. Darin finden sich zahlreiche Interviews mit Funktionären der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD). Die Veranstaltung wurde von Nicholas Hellmann, AStA-Öffentlichkeitsmitarbeiter, moderiert.
„Graben, so tief ich kann“
Bevor das Publikum Bender befragen konnte, interviewten Hellmann und die AStA-Politikreferentin Lena Snelting den Autor. Dieser antwortete unaufgeregt, zuweilen launig, redete offen über seine Recherchen und Einschätzungen – und bot damit einen tiefen, vielschichtigen Einblick in die Struktur, Ziele und Methoden der umstrittenen Partei. Die Beschäftigung mit der AfD versteht Bender als seine journalistische, aufklärerische Pflicht. „Ich gehe rein in die Partei und grabe so tief ich kann“.
Anhaltende Querelen in der AfD
Bender sprach von einer Art „Bürgerkrieg“ innerhalb der Partei. „Faszinierend“ findet der Autor, dass die AfD das politische Handwerk betreffend von Anfang an alles falsch gemacht habe. „Wähler mögen es nicht, wenn man sich in Parteien streitet“ – und trotzdem viele Erfolge verbuche. Eine Erklärung dafür sei ihm noch nicht gelungen. Wohl aber dafür, weshalb die Partei trotz falscher Aussagen Zuspruch erfahre. „Weil sie das Establishment, die traditionellen Parteien bestrafen will“, schlussfolgerte der Journalist.
Kulturell motivierte Ausgrenzung
Die AfD-Parolen seien etwas völlig anderes als Nazi-Parolen. Auf Wahlplakaten fände sich nichts Radikales. Gleichwohl ähnelten Sprüche der AfD denen der rechtsextremen NPD. So habe sie den NPD-Spruch „Wir sind nicht das Sozialamt für die Welt“ in „Wir sind nicht das Weltsozialamt“ verändert, führt Bender aus. Und AfD-Vize Alexander Gauland habe gleichlautend den NPD-Slogan „Heute sind wir tolerant, morgen fremd im eigenen Land“ verwendet. Bender erkennt in der AfD eine „völlige Abkehr“ vom biologistischen Rassismus. Stattdessen wende sie sich hin zu einem kulturell motivierten Ausgrenzungsgedanken.
AfD ist radikaler geworden
Dabei spricht Bender vielen AfD-Mitgliedern eine große Flexibilität zu. Sie könnten schnell von einer gemäßigten Wortwahl zu einer scharfen Tonart umschalten. Die Führungsriege skizzierte er als kleinen Kreis. „Das, was nachwächst, ist grauer.“ Es hätten enorme Umwälzungen stattgefunden, bestätigte der Journalist die Vermutung der Fragesteller, dass in der zunächst bürgerlichen Partei „nur wenige ´Normalos´ übrig geblieben sind“. AfD-Funktionäre beschwerten sich bei Bender, dass ihre Partei immer radikaler werde. „Heutige AfD-Aussagen zu Muslimen hätten 2013 noch zu einem Parteiausschlussverfahren geführt.“
Rechtspopulistische Partei mit rechtsradikalem Flügel
„Die AfD ist eine rechtspopulistische Partei mit einem rechtsradikalen Flügel“, erklärte Bender. Aber er gestehe ihr immer noch das Potenzial zu, sich zu mäßigen. Gerade dominiere im AfD-Personal die Abteilung „Attacke“. Überhaupt hält der Journalist die AfD-Debatte für das Aufregendste, was momentan politisch-gesellschaftlich passiere. In der AfD wolle man sich mit Schmutzkampagnen in Bürgernähe bringen. „Emotionen schießen nach oben. Der Populismus ist eine neue Herausforderung.“ Argumentativ könne man der AfD begegnen, indem man kritisch nachfrage, wie sie ihre Vorschläge in der Praxis umzusetzen gedenke.
Sorge um demokratische Institutionen
„Ich sorge mich am meisten um demokratische Institutionen“, reagierte Bender auf die Frage, was falsch an der AfD sei. Sie wettere unter anderem gegen Kirchen, Medien, alle andere Parteien. „Das ist eine echte Gefährdung.“ Die AfD strebe eine „ganz gefühlige Basisdemokratie mit Volksentscheiden“ an, inklusive Verfassungsänderung und Gesetzgebung. Das hätte den dramatischen Effekt, dass die auf Versachlichung zielenden Mechanismen der Demokratie aufgehoben würden, warnte Bender vor gravierenden Folgen: Dem Volk würde die Möglichkeit genommen werden, „ganz rationale Entscheidungen“ zu treffen. In der Populismus-Bewegung würden im Wesentlichen Instinkte freigelegt. „Wenn wir zulassen, dass Instinkte die Oberhand gewinnen, wird es gefährlich.“
Standortvorteil im Internet
Laut Bender habe die AfD im Internet einen Standortvorteil, da man dort von Verkürzung profitiere. Überhaupt sei die AfD in den sozialen Medien weitaus erfolgreicher. „Ich weiß nicht, ob andere Parteien so stark verkürzen und an Instinkte appellieren wollen und können – ohne ihre Identität zu verlieren.“
Foto(s): Engelbert Broich