Eines mochte Hilde Domin ganz und gar nicht. Wenn sie wortwörtlich als „Jüdin“ irgendwo eingeladen wurde, bekam sie automatisch schlechte Laune. Die bekam etwa der damalige Oberbürgermeister Norbert Burger indirekt zu spüren, der Domin anlässlich eines runden Geburtstags als „jüdische Dichterin“ ins Rathaus eingeladen hatte. Ihre Antwort war kurz und knapp: „Da gehe ich nicht hin“. Anschließend musste sie lange von Freundinnen und Vertrauten überredet werden, trotzdem zu der Feier zu gehen, die ihr zu Ehren ausgerichtet wurde. Ein derart schroffes Verhalten passt eigentlich gar nicht zu der Lyrikerin, die von allen Seiten als äußerst liebenswürdig beschrieben wird. Vor allem von Ingeborg Zanders, Buchhändlerin und alte Freundin von Domin: „Sie war unglaublich nett. Und sie war eine große Vorleserin mit einer unglaublichen pädagogischen Begabung“, sagte Zanders bei einer Führung der AntoniterCityTours „Auf den Spuren von Hilde Domin in Köln“ mit Stadtführer Günter Leitner und Ingeborg Zanders, die sich als Buchhändlerin über Jahrzehnte für die Verbreitung der Dominschen Werke einsetzte. „In dem Buchladen von Ingeborg Zanders an der Breite Straße waren die Gedichte von Hilde Domin erstmals käuflich erwerbbar“, erklärte Leitner den 143 Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Führung, die anlässlich des 100. Geburtstags von Domin im Juni neu im Programm der AntoniterCityTours ist.
Jura, Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Philosophie
Die Lyrikerin wurde 1909 in Köln als Hilde Löwenstein geboren. Ihr Geburtshaus steht in der Riehler Straße gegenüber von der Aral-Tankstelle. Ein Schild weist auf die ehemalige berühmte Bewohnerin hin, die hier mit ihren Eltern und einem Bruder aufwuchs. Ihr Vater war ein angesehener Rechtsanwalt. Der orthodoxe Jude hatte seine Kanzlei an der Bismarckstraße. Hildes Mutter war eine Sängerin aus Frankfurt. Nach dem Abitur am Merlo-Mevissen-Gymnasium studierte Hilde zunächst Jura, später Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Philosophie in Köln, Heidelberg, Bonn und Berlin. Zu ihren Lehrern zählten Karl Jaspers und Karl Mannheim.
Köln, Heidelberg, Bonn, Berlin, Rom, Florenz
„Nachdem sie eine Rede von Adolf Hitler gehört hatte, war für Hilde Domin klar, dass es Zeit war, Deutschland den Rücken zu kehren“, berichtete Leitner im Schatten der Eigelsteintorburg, wo die Führung begann. Zusammen mit ihrem Lebensgefährten Erwin Palm emigrierte sie nach Rom. Dort wohnten die beiden in „wilder Ehe“ in einer Wohnung auf dem Kapitol. Zu ihrer Promotion über „Pontanus als Vorläufer von Machiavelli“ 1935 ging das Paar nach Florenz. 1936 heirateten Erwin Palm und Hilde, nun Palm, vorher Löwenstein.
Die Dominikanische Republik
Die italienischen „Rassengesetze“ zwangen alle Juden, das Land zu verlassen Die Eheleute Palm flüchteten über London in die Dominikanische Republik. Zuvor waren die Eltern von Hilde in die USA geflüchtet: „Das war teuer, und so war für die Übersiedlung der Palms in die Staaten kein Geld mehr da. Deshalb also die Dominikanische Republik, die für Hilde Palm entscheidende Bedeutung bekommen sollte“, so Leitner. In Südamerika wurde Erwin Palm ein geachteter Gelehrte als Experte für iberoamerikanische Archäologie. Seine Frau unterstützte ihn nach Kräften. Sie übersetzte zum Beispiel die Vorlesungen, die ihr Mann hielt, vom Deutschen ins Spanische.
Heidelberg – und wieder Köln
1951 begann Hilde Palm, die sich nun nach dem Namen ihres Exillandes „Domin“ nannte, mit dem Schreiben von Gedichten. 1954 kehrte sie nach zwei Jahrzehnten Exil nach Deutschland zurück und ließ sich 1961 endgültig in Heidelberg nieder. „Ihr Mann hielt ja nicht so viel von der Schreiberei seiner Frau. Er hat übrigens auch selbst Gedichte geschrieben, aber als er sah, wie gut die von Hilde waren, hat er es gelassen“, berichtete Zanders von der nicht immer harmonischen Ehe. Die Freundin und Zeitzeugin hatte noch vor der Währungsreform zusammen mit ihrem Mann ihre Buchhandlung eröffnet. „Die erste Kundin war die evangelische Vikarin Ina Gschlössl“, erzählt sie. 1961 lernte Zanders Hilde Domin kennen und organisierte immer wieder Lesungen mit der Dichterin. „Die erste war im Wallraf-Richartz-Museum“, erinnert sie sich. „Bei diesen Lesungen nahm sich Hilde Domin immer sehr viel Zeit, vor allem nachher beim Signieren. Sie zog jeden in ein Gespräch. Das Signieren konnte Stunden dauern.“
In Heidelberg schrieb Domin zunächst weiter Gedichte, äußerte sich aber zunehmend auch zu gesellschaftlichen Fragen und setzte sich schließlich mit ihrer eigenen Autobiografie auseinander.
Im Kölner Hilde-Domin-Park: Die Dame im dunkelblauen Kostüm ist die Buchhändlerin Ingeborg Zanders. In deren Kölner Buchladen „waren die die Gedichte von Hilde Domin erstmals käuflich erwerbbar“, erzählte Stadtführer Günter Leitner (rechts)
Hilde Domin starb am 22. Februar 2006 an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Nach der Dichterin wurde in Köln der Hilde-Domin-Park in der Nähe des alten Eisstadions benannt – auch der Park war natürlich eine Station der Stadtführung mit Günter Leitner. Die Stadt Heidelberg verleiht alle drei Jahre den „Hilde-Domin-Preis“ als Auszeichnung für Literaten und Literatinnen.
Weiter geht es mit der „Langen Nacht der Hilde Domin“
Wer sich eingehender mit dem Werk von Hilde Domin beschäftigen möchte, hat dazu Gelegenheit in der „Langen Hilde-Domin-Nacht“ in der evangelischen Antoniterkirche, Schildergasse 57, am Freitag, 24. April, ab 18 Uhr. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten. Auch dort wird Ingeborg Zanders zu erleben sein, neben einer weiteren Zeitzeugin, Marion Tauschwitz, neben Orgelimprovisationen zu Domin-Gedichten, deren Lesung und Interpretation, sowie der Vorführung einer Filmdokumentation.
Foto(s): Rahmann