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Auf den Spuren des Judas Ischariot

Professor Dr. Klaus Wengst ist auf der Suche nach neuen Lesarten, die das christlich-jüdische Miteinander unterstützen. Der Emeritus der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bochum ist der Einladung zum Studientag „Der Fall Judas“ gefolgt und war jüngst zu Gast im Haus der Evangelischen Kirche. Als Teil der Veranstaltungsreihe zum Projekt „Johannespassion | Judasprozess. J.S. Bach szenisch“ beschäftigten sich die Beiträge dabei vor allem mit dem zu Grunde liegenden Johannesevangelium. Als Fachmann auf diesem Gebiet hielt Wengst den Eröffnungsvortrag zum Thema „Die Wahrheit der Macht oder die Macht der Wahrheit. Anmerkungen zur johanneischen Passionsgeschichte“.

Eine Besonderheit des Johannesevangeliums sei, so Wengst, dass der Charakterisierung der Protagonisten in ihm deutlich mehr Raum gegeben werde. So werde Jesus „als Souverän des eigenen Passionsgeschehens“ präsentiert, vor dem eine ganze Kohorte Soldaten zurückweiche und zu Boden falle – und das seien immerhin 700 bis 1.000 Männer gewesen!

Pilatus – ein „Zyniker der Macht“
Auch die Figur des Pilatus, die in der szenischen Johannespassion Anfang März mittels neu geschriebener Sprechtexte neben Judas eine besondere Rolle spielen wird, erhalte in der johanneischen Erzählung ein klares Profil. Eines, das historischen Überlieferungen zur Person zu entsprechen scheine, erklärte Wengst. Als Richter im Christusprozess zeige er sich als brutaler Herrscher, dessen Reich eindeutig und ausschließlich „von dieser Welt“ sei. In den Verhörszenen stelle der Autor deutlich die beiden Pole heraus, zwischen denen sich Pilatus befinde: die Macht, also Rom, dem gegenüber er sich loyal zu verhalten habe, und die Wahrheit, verkörpert durch Jesus Christus. Dabei befürchte Pilatus vor allem die Anfechtung seiner eigenen Position. Auf die Frage, was Wahrheit sei, warte er schließlich gar nicht erst eine Antwort ab, da er sich auf der Seite der Macht sicher wähne. Doch, so Wengst: „Die Wahrheit der Macht ist Lüge.“ Im biblischen Sinne sei Wahrheit jedoch „die göttliche Treue, also das, worauf man sich verlassen kann“. Und diese Aussage wolle das Johannesevangelium vermitteln: Der erniedrigte Christus, von weltlichen Machthabern gequält, repräsentiere den mitleidenden Gott und solle somit die Hoffnung der Gläubigen stärken.

„Die Juden“ sind nicht gleich alle Juden
Beim Versuch, die Judenfeindlichkeit im Evangelientext zu hinterfragen, differenziert der Theologe: Mit „den Juden“ seien in den Prozessszenen nicht sämtliche Juden, sondern nur eine kleine Gruppe von Oberpriestern und ihren Dienern gemeint, die als Ankläger gegen Jesus auftreten und zuvor explizit genannt werden. In der Übersetzung müsse es also eigentlich heißen: „die anwesenden Juden“ oder „dieselben Juden“, um die Antijudaismusfalle zu umgehen. Die Passion von Bach, die aus diesem Kammerspiel dramatische Massenszenen gemacht habe, sei einer falschen Lesart gefolgt. Andere Passagen, die Juden als fehlgeleitet, mordlüstern und scheinheilig porträtieren, seien vor dem historischen Hintergrund ihrer Entstehungszeit zu verstehen: Im ersten Jahrhundert nach Christus hätten sich seine Anhänger in der Position einer Minderheit befunden, die sich von der Masse distanzieren mussten. Dieser „innerjüdische Konflikt“ sei auch in die Evangelien eingeflossen.

Antisemitismus im Schulunterricht
Beim Nachmittagsprogramm hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Qual der Wahl: Sie mussten sich für zwei von vier Themen entscheiden. Im ersten Block zog es die meisten in Richtung Kunst. Dr. Guido Schlimbach von der Kunst-Station Sankt Peter, einer der wichtigsten Träger zeitgenössischer religiöser Kunst in Köln, eröffnete einen bildtheologischen Zugang zu ausgewählten Judasdarstellungen von der Romanik bis in die Gegenwart. Dabei behandelte er fünf immer wiederkehrende Bildthemen: das letzte Abendmahl, die Silberlinge, den Kuss im Garten Gethsemane, den Selbstmord und die Physiognomie des Judas. Schon am Äußeren könne man den „Sündenbock“ auf vielen Darstellungen erkennen – das Judenklischee der NS-Zeit mit Hakennase und krummem Rücken sei leider keine Seltenheit. Schlimbach warnte: „Bilder sind immer gefährlich“, da sie sich im Unbewussten festsetzten und so allzu leicht auch Vorurteile und Rassismus transportierten.


Hoch konzentriert hörten die Referenten Katja Bauch und Dr. Marcus Meier den Fragen der Teilnehmenden zu.

„Rassismus hat viele Schattierungen“
Im Workshop mit Katja Bauch und Dr. Marcus Meier von der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit ging es direkt praktisch los: Als sie eine Sammlung von Zitaten den Kategorien „nicht antisemitisch“, „tendenziell antisemitisch“ und „antisemitisch“ zuordnen sollten, merkten die Teilnehmenden schnell, wie versteckt Antisemitismus auftreten kann. Die erste Herausforderung der Anti-Antisemitismus-Pädagogik sei daher zunächst das Aufdecken judenfeindlicher Aussagen und problematischer Kollektivbewertungen. Denn, so die Dozenten: „Diskriminierung beginnt nicht erst bei physischer Gewalt.“ Daher arbeite auch das Rote Karte-Projekt ihrer Gesellschaft mit Jugendlichen an einem rassismusfreien Alltag. Dieses Problem beginne nicht zuletzt bei der Sprache: Antisemitismus werde häufig als politische Israelkritik getarnt – über eine sogenannte „Umwegskommunikation“. Auch für Sätze nach dem Prinzip „Was die mit den Palästinensern machen, ist ja auch nicht besser als der Holocaust!“ wurden die Teilnehmenden, die vielfach aus pädagogischen Berufen kamen, sensibilisiert. Abschließend stellten die Workshop-Leiter einige Thesen für einen produktiven Umgang mit Antisemitismus in der Bildungsarbeit vor.

Drei Aufführungen der Johannespassion
Nach der Kaffeepause folgten zwei weitere thematische Impulse: Dr. Gabriele von Siegroth-Nellessen untersuchte die Judasgestalt aus literarischer Sicht, während Professor Dr. Ralf Miggelbrink vom Institut für Katholische Theologie an der Universität Duisburg/Essen die Frage stellte: „Was ist das Böse?“. Nicht zuletzt um diese Frage wird es auch bei den Aufführungen der szenischen Johannespassion am 5., 6. und 7. März, jeweils 20 Uhr, in der evangelischen Trinitatiskirche, Filzengraben 4, gehen. Zu den gesprochenen Texten kommen dann noch Musik, Schauspiel, Breakdance und eine Videoinstallation hinzu.

Text: Kristina Pott
Foto(s): Kristina Pott