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Armut ist weiblich

„Armut ist weiblich, Altersarmut ist erst recht weiblich!“ Das hat die Leiterin des Diakonischen Werkes Köln und Region, Helga Blümel, auf einer Podiumsdiskussion im Haus der Evangelischen Kirche in Köln gesagt. Thema der Veranstaltung war das wachsende Risiko von Frauen in Altersarmut zu geraten. Bei der Diskussion „Wer soll das bezahlen? Wer hat so viel Geld?“ sprachen Dani Parthum, Wirtschaftsjournalistin und Geld-Coach für Frauen, Detlef Schmidt, Vorsitzender des Sozialverbandes VdK, Kreisverband Köln, Eva Pohl, Vorsitzende des DGB Stadtfrauenausschusses‎ Köln sowie Maike Cohrs und Claudia Lautner, Autorinnen der 2015 veröffentlichten Broschüre „Schuldenfrei im Alter“, über das Thema Altersarmut von Frauen. Helga Blümel, Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes Köln und Region, moderierte die Veranstaltung. Zu Beginn hielten die beiden Mitarbeiterinnen der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werkes, Maike Cohrs und Claudia Lautner, einen ausführlichen Impuls-Vortrag. Die Beraterinnern benannten häufige Faktoren für die Altersarmut von Frauen und berichteten über das Phänomen der Überschuldung von Seniorinnen und auch Senioren.

Aus ihrer Sicht gibt es verschiedene Faktoren, die zur Altersarmut von Frauen führen. In der Regel sei es so, dass jede zweite Frau ihren Ehemann überlebe. Hinzukomme, dass die Renten von Frauen halb so hoch wie die Renten von Männern seien. Dies führe dazu, dass Frauen im Alter ergänzend Grundsicherung beantragen müssten oder sie würden am Existenzminimum leben, erklärte Schuldnerberaterin Claudia Lautner. Weiter nannte sie diskriminierende Faktoren wie Lohnungleichheit und falsche staatliche Familiensubventionierungen, die den Ausstieg von Frauen aus den Berufen belohnt, vor allem, wenn sie verheiratet sind. Ein weiterer Faktor für Altersarmut sei die hohe Scheidungsrate. Demnach werde jede dritte Ehe geschieden, in Großstädten sogar jede zweite.

Kommt es heute zur Scheidung, ist seit 2008 jeder für sich materiell verantwortlich, solange nicht einer für die Kinder unter drei Jahren sorgen muss. Des Weiteren führen Minijobs in die Altersarmut, da die Beiträge in die Rentenkasse gering ausfallen. Demnach seien 450-Euro-Jobs ein Desaster für Frauen und führen in eine finanzielle Sackgasse, meinte Lautner. „Finanzielle Unabhängigkeit kann es nur geben, wenn Frauen ihren Beruf ohne zu lange Unterbrechungen ausüben“, so Lautner. Als weitere Faktoren für Altersarmut von Frauen, die zuvor das Ehemodell gelebt haben, nannte Lautner die kostenfreie Mitversicherung in der Krankenkasse und das Ehegattensplitting, das nach einer Scheidung Nachteile für Frauen bürge, die eben davor nichts verdient haben, um in der Ehe die steuerlichen Vorzüge des Modells zu erwerben. Ferner schaffe auch das Betreuungsgeld falsche Anreize für Frauen. Frauen, die zuhause bleiben und das Kind betreuen, zahlen nicht in die Rentenversicherung ein, so Lautner.

In der täglichen Arbeit haben die Schuldnerberaterinnen Lautner und Cohrs mit überschuldeten Senioren zu tun – Frauen und Männer sind gleichermaßen betroffen. Lautner nannte die typischen Gründe für Verschuldung im Alter. Ein Hauptpunkt sei die Einkommensreduzierung beim Übergang in die Rente. Oftmals fehle die Budgetplanung im Vorfeld über das im Rentenalter zur Verfügung stehende Einkommen, so Lautner. Auch Kreditraten, die im Rentenalter weiter zu tilgen sind, führen zur Überschuldung. Wichtig ist, dass man sich frühzeitig mit seinem Budget auseinandersetzt und auch mögliche Versicherungen im Vorfeld einstellt. Des Weiteren gehen Rentnerinnen und Rentner daher oftmals einem Nebenjob nach, um mögliche Kreditraten zu tilgen. Dennoch ist hier die Gefahr von Erkrankungen nicht auszuschließen, die wiederum zu finanziellen Engpässen führen können. Ein hohes Verschuldungsrisiko liegt zudem vor, wenn einer der Ehepartner in Pflege kommt. Die Rente wird dann an das Pflegeheim übergeleitet. Anfallende Bestattungskosten können ebenfalls zur Überschuldung führen. Ein großes Problem ist, dass viele ältere Menschen aus Scham keine staatlichen Leistungen in Anspruch nehmen.

Maike Cohrs betonte, dass es viel zu wenige Beratungsstellen bundesweit gebe. Die Schuldnerberatung kooperiert mit der Seniorenberatung. Derzeit sei es nicht leicht für Senioren, Termine in der Schuldnerberatung zu bekommen. Der Bedarf nach Schuldnerberatung für Senioren wird steigen. In der täglichen Beratungsarbeit könne man die Altersarmut schon sehen, so Cohrs. Häufig konsultieren ältere Menschen aus Scham nicht die Beratungsstellen, weil sie ungern über Geld sprechen. Die Broschüre „Schuldenfrei im Alter“ soll auch zur Prävention ab 55 Jahren dienen, so dass die Menschen beruhigt und möglichst schuldenfrei ins Alter gehen können.

„Was muss sich ändern, um das Risiko der Altersarmut von Frauen zu senken?“ Diese Frage diskutierten die Experten dann im Anschluss auf dem Podium. Wirtschaftsjournalistin Dani Parthum plädierte dafür, dass Frauen sich in erster Linie mit Geld beschäftigen sollten, um auch eine positive Haltung entwickeln zu können. „Geld ist super und es ist gut und gesund nach Geld zu streben“, meinte Parthum. Detlef Schmidt, Vorsitzender des Sozialverbandes VdK, war der Meinung, dass Frauen dringend selbstbewusster werden müssten. Dies beträfe sowohl den Umgang mit Geld als auch in der familiären Umgebung. Eva Pohl, Vorsitzende des DGB Stadtfrauenausschusses‎ Köln, ergänzte das Statement von Frau Parthum, und sprach sich dafür aus, dass viel mehr das selbstverdiente Geld super sei. Eigenes Geld zu besitzen, sei ein ganz wichtiger Punkt, so Pohl. „Liebe ist manchmal schrecklich, und man macht aus Liebe oft Fehler und unterschreibt Sachen“. Frauen sollten frühzeitig gestärkt werden, meinte Pohl. Schuldnerberaterin Lautner stellte fest, dass eine Ehe romantisch sei, aber zugleich immer auch ein Vertrag. Maike Cohrs würde sich wünschen, dass Frauen ein dickeres Fell haben. Frauen würden oftmals schräg angeschaut, wenn sie arbeiten gehen und die Kinder bis vier Uhr in die Kita schickten, so Cohrs.

Dani Parthum fordert von der Politik, Finanzbildung in die Lehrpläne der Schulen aufzunehmen. Jugendlichen sollten frühzeitig neutrale und unabhängige Finanzberatung erhalten. Weiter sprach sich Parthum für neue Arbeitszeitmodelle aus. Diese Ansicht teilten auch die übrigen Podiumsteilnehmer. Schmidt plädierte dafür, niedrigschwellige Berufe zu subventionieren. Auch sollte die Pflegearbeit als Beruf anerkannt werden und sozialversicherungspflichtig abgegolten werden. Weiter forderte er flächendeckend mehr Schuldnerberatungsstellen.

Am Ende der lebhaften Debatten wurden u.a. die folgenden Forderungen aufgestellt, die an den Stadtsuperintendenten Rolf Domning weitergegeben werden sollen: Finanzbildung in der Schule, andere Arbeitszeitmodelle, mehr Beratungsstellen, prekäre Arbeitsverhältnisse abschaffen, Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit, Teilzeit-Berufsausbildung fördern, Quoten für ältere Arbeitnehmer, Ehegatten-Splitting und Betreuungsgeld abschaffen, Familienarbeit aufwerten und eine gesamtgesellschaftliche Diskussion. Zu der Podiumsdiskussion hatte der Arbeitskreis Frauenarbeit der vier Kölner Kirchenkreise und des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region in Kooperation mit dem Diakonischen Werk Köln und Region eingeladen.

Text: Sarala Hackenberg
Foto(s): Sarala Hackenberg