Hygienischer und sicherer – oder Störung des Gemeinschaftsgefühls? Die Frage, ob das Abendmahl mit Gemeinschaftskelch oder Einzelkelch durchzuführen sei, erhitzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Gemüter in vielen evangelischen Gemeinden im In- und Ausland. Ausgangspunkt der Diskussionen im Deutschen Reich bildete die Aussage von Prof. Dr. A. Moeller-Belzig, dass die Abendmahlsfeier in seiner derzeitigen Form (Gemeinschaftskelch) die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder Influenza mitfördere. Tuberkulose zählte im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den am häufigsten auftretenden Krankheiten oft mit Todesfolge bei der sozial schwächeren Bevölkerung.
Ferner wurde auch aus einigen Gemeinden berichtet, dass Gemeindemitglieder aus Sorge um ihre Gesundheit nicht an der Abendmahlsfeier teilnähmen oder nur mit einem unguten Gefühl. Zwei Lager bildeten sich aus. Die Gegner der Einführung eines Einzelkelchs beriefen sich zum einen darauf, dass es keinen medizinischen Beweis für die Behauptung der Infektionsausbreitung gäbe. „Die Gefahr am Altar kann selbst der Gefahr nicht gleichkommen, der wir täglich (im Alltag) ausgesetzt sind, wo wir alle möglichen und unmöglichen Bazillen verschlucken.“
„Gefahr der Gemeinde- und Familienspaltung“
Zum anderen sahen sie die „Gefahr der Gemeinde- und Familienspaltung“. Die Ungewissheit der praktischen Durchführbarkeit der Einführung des Einzelkelchs wurde dazu genutzt ein Bild zu skizzieren, in dem die Abendmahlsfeier zu einer „Wirtschaftsmanier“ herab degradiert werde. Jedes Gemeindemitglied, so die Vorstellung, würde seinen eigenen Kelch zur Abendmahlsfeier mitbringen. Das Herausholen und Präsentieren der eigenen Kelche würden den Sinn, die Feierlichkeit und die Gemeinschaft stören. Die Befürworter sahen hingegen neben dem Hygieneaspekt eher eine Verbesserung des Gemeinschaftsgefühls, da jedes Gemeindemitglied ohne Sorge am Abendmahl teilnehmen könne.
„Maßregel zum Schutz des Segens am Tische des Herrn“
Auch in der evangelischen Gemeinde Köln wurde sich im Jahr 1904 ausführlich mit diesen Diskussionen auseinandergesetzt. Als Anschauungsobjekt diente dem Presbyterium die evangelische Gemeinde in Bergisch Gladbach. Diese hatte bereits das Abendmahl mit Einzelkelch eingeführt und ließ dem Presbyterium der evangelischen Gemeinde Köln einen Bericht zu kommen. Darin heißt es „Der Einzelkelch beseitigt daher alle Gefühle des Unbehagens, Widerwillens und Ekels, die bei dem Gebrauch des gemeinsamen Kelches sehr leicht entstehen und allen Segen des Abendmahls hinwegnehmen können. Der Gebrauch von Einzelkelchen ist also auch eine Maßregel zum Schutz des Segens am Tische des Herrn.“
Die Bedeutung des Abendmahls als Gedächtnismahl an Jesus Christus werde durch die neue Praxis nicht geschmälert. Eine Entscheidung fällte das Presbyterium jedoch erst im Jahr 1910. Das Presbyterium und die größere Gemeindevertretung entschlossen die Einführung des Einzelkelchs unter Berücksichtigung folgender Punkte: 1. die Abendmahlsfeier mit Einzelkelch sollte zunächst nur in Nebengottesdiensten stattfinden. Bestimmt wurden dafür die Gottesdienste zum Totenfest (Totensonntag), am Mittwochabend in der Passionszeit, am Gründonnerstagabend und an einem Sonntagabend in der Mitte der festlosen Zeit des Kirchenjahres. 2. Privatkelche wurden nicht zugelassen und 3.
Die Teilnehmenden sollten sich an einen genauen Ablaufplan halten, der im Vorfeld festgelegt wurde. Der erste Abendmahlsgottesdienst mit Einzelkelch fand in der Christuskirche am 20.11.1910 statt. 110 Teilnehmenden wurden dabei gezählt.
Foto(s): Stefanie Sternemann