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Die Initiatoren von „TheoLogisch”, Dr. Martin Bock (links) und Markus Herzberg, nehmen den Impulsgeber Prof. Dr. Markus Saur in die Mitte.

AntoniterQuartier: Gesprächsreihe „TheoLogisch – Glaube im Dialog“ am 26. April

Biblische Texte haben noch heute Gültigkeit. Wie aktuell sie für unser Denken und Handeln sein können, zeigte auch der verheißungsvolle Auftakt eines Formates: Markus Herzberg und Dr. Martin Bock haben Anfang des Jahres zum Start von „TheoLogisch – Glaube im Dialog“ im Citykirchenzentrum des AntoniterQuartiers an der Schildergasse mehr als 40 Interessierte begrüßt. In diesem Jahr sind noch drei weitere Veranstaltungen geplant, eine je Quartal. Die nächste Veranstaltung findet in einer Woche, am 26. April, statt.

Denn Herzberg, Pfarrer an der AntoniterCityKirche, und Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, stellten fest, „dass ein traditioneller Bibelabend heute nicht mehr so zu funktionieren scheint“. Daher initiierten sie gemeinsam – „wir versuchen Synergien zu schaffen“ – eine neue Gesprächsreihe zu biblischen Texten und theologischen Themen. Als evangelische Citykirche und evangelische Bildungseinrichtung wolle man „Impulsgeber für die Auseinandersetzung mit den zentralen Fragen unseres christlichen Glaubens, und dessen heutiger gesellschaftlicher Relevanz sein. Wir wollen Menschen für den Glauben begeistern und sie einladen, sich mit seinen zentralen Themen und Fragen auseinander zu setzen.“

Fester Bestandteil von „TheoLogisch“ ist ein Impulsvortrag. Vorkenntnisse würden nicht erwartet, entscheidend sei die Neugier, so die Veranstalter. Mit dem Impulsvortrag führen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in das jeweilige Thema ein, um anschließend unter der Moderation von Bock und Herzberg mit den Besucherinnen und Besuchern in einen vertiefenden Austausch zu treten. „Akademische Lehre gehört auch nach draußen, in die Welt“, so Herzberg in seiner Begrüßung zur Premiere. Erster akademischer Impulsgeber war Markus Saur. Er ist Professor der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn mit dem Schwerpunkt Exegese und Theologie des Alten Testaments.

Die Frage nach dem gelingenden Leben

In lebendiger, gewinnender Art widmete sich Saur dem Thema „Gelassenheit – Im Gespräch mit Kohelet (dem Prediger Salomo)“. Dabei bettete er ausgewählte Weisheits-Texte Kohelets nicht nur in den biblischen wie historischen Kontext ein, sondern blickte ebenso ins 21. Jahrhundert. Die Frage nach dem gelingenden Leben habe Menschen zu allen Zeiten beschäftigt, damals wie heute, stellte der Theologe fest. Er wolle niemandem sagen, wie man Texte Kohelets auszulegen habe. Vielmehr mache er ein Angebot, sich mit den herausfordernden Gedanken eines Lehrers und Predigers im 4. Jahrhundert vor Christus in Jerusalem auseinanderzusetzen. Der Begriff Kohelet meine im Hebräischen die für eine Versammlung verantwortliche Persönlichkeit. Zunächst sei beim Autor auch vom Sohn Davids die Rede gewesen, und erst bei Luther von Salomo.

Saur ging zunächst auf Weisheitsliteratur vor Kohelet ein. Bereits diese Texte formulierten Fragen nach dem gelingenden Leben. Zu verorten seien sie nicht nur im Kulturraum Palästina, sondern etwa auch in Ägypten und Mesopotamien. Älteste sumerische Sprichwörter fänden sich ab dem 3. Jahrtausend vor Christus. „Wer sein Ackerland bebaut, wird satt am Brot. Wer aber Nichtigem nachjagt, endet des Verstandes“, zitierte Saur aus dem biblischen Buch Sprüche 12,11. Diese Dichtungen seien keine Anweisung, sondern zunächst nur eine Aussage. Beim Lesen gehe ein Transfersatz los. „Aus der reinen Beschreibung wird in der Rezeption eine Handlungsanleitung für uns selber.“ So gehe es darum, das Leben aktiv zu gestalten durch fleißige Arbeit und ein gelingendes Leben selbst herbeiführen.

„Wer eine Grube gräbt, fällt in sie hinein“

Betont werde das soziale Miteinander. Nicht an der Gemeinschaft orientiertes Handeln gefährde die Gesellschaft. „Das, was ich tue, fällt auf mich zurück, es gibt kein folgenloses Handeln“ zitierte Saur: „Wer eine Grube gräbt, fällt in sie hinein“ (Sprüche 26,27). Wer etwas Böses plane, schaffe eine Sphäre des Bösen, wies der Theologe auf die Verknüpfung von Tun und Ergehen hin, auf das Denken in der Form eines Zusammenhanges. Es handele sich um auf den Punkt gebrachte Verdichtungen von Erfahrungen und lebensdienliches Wissen einer ganzen Kultur, stellte Saur in Anlehnung an den protestantischen Alttestamentler Gerhard von Rad fest. Aber die Realität habe ihre Grenzen: „Wir können nicht alles wissen.“

Über das Buch Hiob, „den gerechten, aufrichtigen und weisen Menschen par excellence“, der an seinem Unglück leidet, darüber gegen Gott aufbegehrt und ihm schließlich gesteht, dass „aber nun (…) mein Auge dich gesehen“ hat, ging Saur zu Kohelet über. „Windhauch der Windhauche, spricht Kohelet, Windhauche der Windhauche, das Ganze ist ein Windhauch“, wies Saur auf einen Leitsatz gleich zu Beginn im Buch Kohelet hin. Alles sei flüchtig, alles nichtig. Seine Einsichten gewinne Kohelet ebenfalls aus der Erfahrung, komme aber zu anderen Schlüssen, als sie die Sprüche-Texte vermittelten, erläuterte Saur. Nach Kohelet sei der Mensch zur Erkenntnis fähig. Er rufe auf, das Leben als Gestaltungsraum anzunehmen: es zu genießen und zu gestalten. Dabei sei die Zeit eine Grenze des Menschen. „Ein Gerechter geht zugrunde an seiner Gerechtigkeit, ein Ungerechter lebt lange in seiner Bosheit“ (Pred 7,15-18) widerspreche dem, was Kohelets Lehrer ihm beigebracht hätten, so Saur. Wer nicht übergerecht sei und nicht zu oft ungerecht, der werde Gott gerecht, legte der Bonner Professor den antiken Prediger aus.

„Im Buch Kohelet finden sich ,polar structures´ – spannungsreiche Aussagen, die nur schwer zu verstehen sind“, nannte Saur eine der Besonderheiten. Diese „polaren Strukturen“ bänden Leserinnen und Leser mit in den Textraum ein. Sie brächten uns ins Mitdenken. Überhaupt, so Saur, rechneten die antik-jüdischen Literatur-Texte damit, dass ihrer Leserinnen und Leser „aktiv einsteigen und sich Gedanken machen“.

Der Eröffnungstext des Koheletbuches „Was einmal geschah, wird wieder geschehen, und was einmal getan wurde, wird wieder getan, und es gibt ganz und gar nichts Neues unter der Sonne“ (Prediger 1,3-9) ist laut Saur getragen von deprimierter Stimmung. Die Wiederkehr des immer Gleichen, im selben Rhythmus und Trott. „Man könne meinen, Kohelet sei ein sehr resignierter Denker und Pessimist.” In diesem Zusammenhang wies Saur auf eine Bewegung im Judentum im Umfeld Kohelets hin, die davon ausgegangen sei, dass ein Gott alles neu mache. Kohelet aber sage, „alles bleibt in Ordnung”. Am Ende gebe es nicht etwas Umstürzendes. Vielmehr setze der Prediger etwas Beruhigendes gegen das Aufgewühlte. Statt einen radikalen Bruch der Welt sehe er ein klares „die Erde bleibt so weiter bestehen”.

„Lebensfreude eine Gabe Gottes“

Hier trete jemand auf im Alten Testament, für den „Lebensfreude eine Gabe Gottes“ sei. Kohelet beschreibe das soziale Miteinander als gelingendes Miteinander, nennt ihn Saur einen beobachtenden Empiriker. Einen der „größten” Texte des Kohelet sieht Saur in Prediger 3,10-15: „(…) Ich erkannte, dass es nichts Gutes unter ihnen gibt, als sich zu freuen und Gutes zu tun in seinem Leben. Und auch jeder Mensch, der isst und trinkt und Gutes genießt bei aller seiner Mühe – eine Gabe Gottes ist dies. Ich erkannte, dass alles, was Gott macht, für immer sein wird. Ihm ist nichts hinzuzufügen, und von ihm ist nicht wegzunehmen. Und der Gott hat es so gemacht, dass man sich vor ihm fürchte. Was einmal geschah, ist längst wieder geschehen, und was geschehen wird, ist längst schon geschehen. Gott aber sucht das, was verloren zu gehen droht.“ Dieser letzte Satz ist laut Saur „ein ganz tiefer”.

Dieser Satz fange alles auf. „Gott jagt dem hinterher, was andere nicht mehr im Blick haben.” Saur empfindet diese Sicht als eine Entlastung der menschlichen Selbstüberschätzung. „Alles, was du nicht im Blick hast, ist aufgehoben im Handeln Gottes.”

Sehr wohl brächten Texte im Koheletbuch auch Lebensfreude zum Ausdruck. „Mühe und Lebensfreude. Dazwischen bewegt sich das Leben als Gestaltungsraum.“ Kohelet empfehle, „mit Fleiß und Freude anzunehmen, was sich mir im Leben als Aufgabe stellt“: Das Leben umfassend zu verstehen, sich Gedanken zu machen und Möglichkeiten umzusetzen. Statt in Resignation zu verfallen, täglich ein Freudenfest zu machen, das Leben zu genießen. „Hinter diesen Texten stehen ganz lebendige Debatten, die Menschen geführt haben“, erklärte Saur. Sie ermunterten, das Leben in Freude und Gelassenheit anzunehmen. Und sie gäben uns als Anregung mit: „Du bist begrenzt, aber innerhalb dessen besteht ein Handlungsspielraum.“

„Wir sind gerade dabei, uns selbst abzuschaffen“

„Sie haben uns so tolle Gesprächsangebote gemacht“, wandte sich Bock vor dem Austausch an den Impulsgeber. Er habe uns Kohelet nahegebracht, der Lebensbewältigungspraxis anbiete. Der Prediger habe doch damals schon an die Gefahr des Klimawandels gedacht, mutmaßte ein Teilnehmer. „Wir sind gerade dabei, uns selbst abzuschaffen.“ Kohelet bringe es auf den Punkt: „Für euch ist kein Platz mehr, aber die Erde werde weiterbestehen.“ Saur informierte, dass zuletzt tatsächlich eine Kollegin auf einer Tagung Kohelet mit Bezug auf den heutigen Klimawandel ausgelegt habe. Aber selbstverständlich habe der damalige Verfasser nichts von der gegenwärtigen Gefahr wissen können. Dennoch sei es methodisch richtig, so zu fragen. Kohelets Texte vermittelten die Idee zu gestalten, herauszufordern, anzunehmen, also auch Handlungslinien aufzumachen. Danach wären wir auch gut beraten, im Einklang mit der Natur zu gestalten.

Einem anderen Gast fiel auf, dass in zeitgenössischen Liedtexten Anklänge von Kohelet zu finden seien. Beispielsweise nannte er „Aff un zo“ von BAP sowie „Uns Johreszigge“ von den Bläck Fööss. Deren Resonanz auf Kohelet mache seine Texte noch heute aktuell. Eine solche Resonanz gebe es in allen Kunstformen, bestätigte Saur, und nannte etwa den Byrds-Song „Turn! Turn! Turn!“ und Gryphius´ Gedicht „Es ist alles eitel“. Der Theologe sprach von Spuren Kohelets in der Kirchengeschichte wie auf anderen Gebieten. „Mit diesem Text wird man nicht fertig. Je länger ich damit arbeite bin ich unsicher, ob ich ihn wirklich verstehe“, bekannte Saur.

Eine Teilnehmerin vermisste bei Kohelet den Aspekt des Jenseitigen. Ihr Unbehagen müsse man teilen, reagierte Saur. Zugleich verwies er darauf, dass im Predigerbuch schon der junge Mensch aufgefordert werde, seines Schöpfers zu gedenken, „bevor der silberne Faden zerreißt und die goldene Schale zerspringt” (12,6). Bei Kohelet merke man, wie jemand sich vortaste in einen anderen Bereich. Gleichwohl sei der Prediger erstmal an diesem Leben interessiert, ohne Hoffnung auf ein ewiges Leben. Kohelet spreche von den mühevollen Aufgaben, die jeder Mensch habe. Zugleich solle niemand sich überfordern lassen. Jeder dürfe sich beruhigen lassen, jede könne gelassen sein. Als „ein tolles Lehrhaus“ charakterisierte Bock abschließend die Veranstaltung. Saur lobte der Akademieleiter ausdrücklich dafür, „uns so toll ins Gespräch” mit dem Alten Testament und dessen Spielräumen gebracht zu haben.

Weitere Veranstaltungen

Die nächste Veranstaltung in dieser Reihe im Citykirchenzentrum, Schildergasse 57, 50667 Köln, findet am Mittwoch, 26. April, 18.30 Uhr, statt. Das Thema lautet „Ein Brief aus dem Gefängnis – der Philipper-Brief des Paulus“. Die Einführung übernimmt Prof. Dr. Hermut Löhr von der Uni Bonn. Am Donnerstag, 15. Juni, 18.30 Uhr, geht es um das Thema „Eine Theologie mit Rückgrat ist eine Theologie des Kreuzes“. Impulsgeberin wird Prof. Dr. Athina Lexutt (Universität Gießen) sein.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich