Käthe und Martin Luther damals, Anne und Nikolaus Schneider heute. Zwei Theologen-Paare, bei denen Mann und Frau miteinander streiten, beten und ringen, Freud und Leid teilen – verbunden durch das Band der Liebe, auch der Liebe zum offenen Diskurs.
Brücken vom 16. ins 21. Jahrhundert wurden jetzt im Altenberger Dom geschlagen, als dort der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und frühere Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland mit seiner Gattin im Kirchenschiff Platz nahm. Die Eheleute waren gekommen, um von ihrem Leben und ihren Überzeugungen zu sprechen und auch darüber, „was sie von Käthe und Martin Luther gelernt haben“ – so der Untertitel der sonntäglichen Nachmittagsveranstaltung. Ein „Vespergespräch mit Musik“ solle es sein, meinte Altenbergs Pfarrerin Claudia Posche, die die Moderation übernahm.
Frühe Heirat als Fluchtmöglichkeit?
„Katharina soll in einem Heringsfass aus dem Kloster geflüchtet sein“, warf Claudia Posche die Angel in die Vergangenheit aus, nachdem das Duo Kirchhof mit Renaissancelaute, Renaissance Viola da Gamba und mittelalterlicher Gewandung einfühlsam in die Reformationszeit eingestimmt hatte. Da Anne und Nikolaus bei ihrer Heirat Studenten und erst 21 beziehungsweise 23 Jahre jung gewesen seien, stelle sich die Frage: „War das auch eine Flucht?“ Auf diese, wie auf die übrigen Fragen antwortete das Ehepaar nicht knapp, sondern es holte aus und erzählte überaus offen, so dass die Zuhörer in den Schneiderschen Kosmos eintauchen konnten. Als guter Erzähler entpuppte sich dabei nicht nur der durch hohe Kirchenämter redegewohnte Nikolaus Schneider. Gerade auch Anne Schneider zog mit ihrer klaren und eindeutigen Sprache sowie ihren freimütigen Statements die Menschen im Dom in ihren Bann.
„Gott kümmert sich um dein Leben"
Anne stammt aus einem Elternhaus, wo der Vater vom Katholizismus zum Protestantismus konvertiert war: „Ich bin aufgewachsen in der Sicherheit: Es gibt Gott und Gott kümmert sich um dein Leben.“ Nikolaus kam aus einer atheistischen Familie. Kennen lernten sich beide beim Theologiestudium in Wuppertal Ende der 60er-Jahre. Später wechselten sie nach Göttingen. Dort sei die frühe Heirat 1970 keine Flucht, sondern „ein öffentliches Bezeugen einer Sache, die wir gut fanden“, gewesen, so Anne Schneider. Allerdings sei es damals ohne Trauschein für Paare auch schwer gewesen, eine Wohnung zu finden. Und es habe den Eltern auch nicht gefallen, „dass wir vorehelichen Sexualverkehr hatten“.
Verlieben als persönlicher Gottesbeweis
„Wer hat denn wen gefragt?“, wollte Pfarrerin Posche wissen. Bei Luthers habe Katharina ja mehrere Interessenten abblitzen lassen und dann Martin den Antrag gemacht. Die Zuhörer wurden auch hier nicht mit einer kurzen Antwort abgespeist. Stattdessen verriet Nikolaus Schneider Verblüffendes: „Eigentlich bin ich das Opfer einer Wette.“ Es sei nämlich so gewesen, dass er Anne von Anfang an „einfach gut“ gefunden und sie öfters im alten VW Käfer kutschiert habe. „Aber mehr war da nicht!“ Worauf sie parierte: „Du hattest ja eine Freundin!“ Dass sie in Nikolaus verliebt war und andere Interessenten – ganz wie Käthe – abblitzen ließ, merkte er nicht. Also wettete Anne mit Gott: Wenn er sich wirklich um jeden einzelnen persönlich kümmere, „dann regele doch, dass dieser Mensch sich in mich verliebt“, habe sie gebetet. „Ich habe das festgelegt mit Gott – als persönlichen Gottesbeweis.“ Und tatsächlich: Irgendwann sei ihm klar gewesen, dass Anne die Richtige für ihn sei, so Nikolaus Schneider.
Ein offenes Pfarrhaus
„Wie sah es im Pfarrhaus aus?“, fragte Claudia Posche. Es sei ähnlich wie bei Familie Luther ein offenes Haus gewesen, so Nikolaus Schneider. Doch sei das für die drei Töchter nicht immer einfach gewesen, beispielsweise „wenn so die Brüder von der Landstraße vorbeikamen.“ Aber die Mädchen hätten toll mitgezogen, seien seine schärfsten Kritikerinnen gewesen und hätten alle Theologie studiert, allerdings wegen des öffentlichen Charakters nicht ins Pfarramt gewollt.
Zölibat für Pfarrerinnen bis 1975
Doch nur er arbeitete als Pfarrer, denn in die fortschrittlichere Braunschweigische Landeskirche wollte Nikolaus nicht wechseln und in der Rheinischen Landeskirche hatte Anne damals als verheiratete Frau noch keine Chance: Dort galt bis 1975 das Zölibat für Pfarrerinnen. So wechselte sie ins Lehramt, mit Mathematik als Zweitfach. „Ich bin ins Pfarrhaus gegangen mit dem Gefühl, die Kirche will mich nicht.“ Ihr berufliches Pensum passte sie der Karriere ihres Mannes an, wobei es oft Anstoß erregte, dass sie als Pfarrersfrau stets arbeiten ging. Je höher seine Ämter wurden, „umso mehr war meine Frau im Grunde alleinerziehend,“ gestand Nikolaus Schneider, der anfangs noch ein Meister im Windelwickeln war („Mir ist auch nie eine wund geworden!“). Familientermine habe er regelrecht in den Terminkalender eingetragen. „Dass wir auch noch Zeit für uns haben – das war eine Herausforderung.“
Ihr Gehalt – unser Gehalt
Wie bei Schneiders debattiert und um gleichberechtigtes Miteinander gerungen wird, erlebten die Zuhörer hautnah, als der Ex-Ratsvorsitzende bekannte, dass aufgrund der Berufstätigkeit seiner Frau Hauspersonal nötig gewesen sei. „Da ging im Zweifelsfall ihr ganzes Gehalt für drauf“ – sprach’s und wurde sogleich von seiner Frau gestoppt: „Da hören Sie es: ,Ihr Gehalt!‘ Er hätte ja auch ,unser Gehalt‘ sagen können!“
Der Tod der Tochter
Zum Thema "Kindererziehung" führte Claudia Posche aus, dass der fortschrittlich denkende Luther am Boden zerstört gewesen sei, als seine 13-jährige Tochter starb. Auch hier eine Parallele zu Schneiders: Ihre jüngste Tochter starb 22-jährig an Leukämie. Es war bewegend zu hören, wie die Familie damit umging, die Eheleute sich stärkten, die Schwestern sich näherkamen. Die Krankheit habe ihr „zwei so intensive Jahre“ mit der Tochter beschert, die sie dankbar als Geschenk betrachte, so Anne Schneider. Dennoch: „Das war das Schwerste, was wir bewältigen mussten.“
Rücktritt „nicht schwergefallen“
Und das sagt eine Mutter, die einige Jahre später, 2014, selbst eine schwere Diagnose erhält: Brustkrebs – mit dem Hinweis, „dass die Prognose sehr schlecht ist für mich.“ Doch sie sei 66 gewesen. „Da war bei mir sehr schnell die Dankbarkeit da: Ich hatte so ein reiches und erfülltes Leben.“ Drei Tage nach der Diagnose legte Nikolaus Schneider seinen Ratsvorsitz nieder – „und das ist mir gar nicht schwergefallen“, sagt er. Er habe für seine Frau da sein wollen. Und als Rentner – der Ratsvorsitz sei ein Ehrenamt – sei er privilegiert gewesen, diesen Wunsch zu verwirklichen.
Streitgespräche über Sterbehilfe
Das Thema "Sterbehilfe" kam bei Schneiders nicht erst mit der Krankheit auf den Tisch. „Die Debatte war bei uns zehn Jahre alt“, so Anne Schneider. Und sie dauert mit divergierenden Positionen weiter an. „Für mich wurden die Gottesbilder weiter, für ihn enger. Ich meine immer, das hängt mit Kirchenleitung zusammen.“ So vertritt sie die Meinung, dass sie „die Freiheit vor Gott und den Menschen“ habe, über ihren Körper in punkto Todeszeitpunkt zu bestimmen. „Dann fahre ich in die Schweiz und du hältst mir Händchen“ ist für Anne Schneider eine sinnvolle Option. Ihr Mann würde dabei immer an ihrer Seite sein: „Unsere Liebe und unser Miteinander geht vor. Und ich werde sie auf keinen Fall alleine lassen.“ Aber gutheißen kann er solch einen Schritt nicht. Das aktive Beenden eines Lebens – „das ist der Punkt, über den ich nicht kann.“ Denn die Freiheit Gottes sei eine Freiheit zum Leben. Worauf seine Frau kontert: „Das Leben bei Gott ist nicht nur das irdische Leben. Das Leben in Gott umgreift den Tod.“
Was haben Schneiders von Luthers gelernt?
„Wir merken, da muss noch viel gestritten werden“, beendete Claudia Posche das fesselnde Gespräch – gefühlt für die meisten Zuhörer viel zu früh. Ob das Ehepaar von Käthe und Martin Luther, die auf Porträts zugegen waren, tatsächlich etwas gelernt habe? „Ja, dass man Kirche gemeinsam lebt“, erklärte Anne Schneider. „Ohne Du-Beziehung können wir auch die Gottesbeziehung nicht leben.“ Ihr Mann knüpfte an: „Beziehung ist: Anteil geben und Anteil nehmen. Und Beziehung ist: in guten und in schweren Zeiten.“ Dazu passte die Schlussmusik: „Ein feste Burg ist unser Gott.“
Foto(s): Ute Glaser