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Angela Köhnlein, Presbyterin der Evangelischen Kirchengemeinde Bickendorf erzählt von einer „Konfirmation im Knast“

Wir sind eingeladen, eine Konfirmation mitzufeiern an einem ganz besonderen Ort, nämlich in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Köln-Ossendorf. Die beiden jungen Frauen, die konfirmiert werden sollen, kennen wir nicht. Die Gefängnispfarrerin meint, es wäre schön, wenn aus der Gemeinde noch jemand da wäre. Ich gehe gerne mit, wenn auch mit gemischten Gefühlen. Um 17 Uhr will uns die Gefängnispfarrerin an der Pforte abholen. Der Eindruck der Haftanstalt ist ein bisschen gespenstisch: Es ist dunkel, es schneit, man kann nirgendwo herein gucken, aber alles ist hell beleuchtet. Ist das jetzt der „Haupteingang“? Ein Pärchen steht gegenüber an so einer Art Bushaltestelle. Die kann ich fragen! „Ja“, sagen sie, „da geht´s rein. Wenn Sie jemand besuchen wollen, müssen Sie eine Marke ziehen und den Zettel ausfüllen.“ Aha, eine Marke mit einer Nummer ziehen, einen Zettel ausfüllen (wer bin ich, wen will ich besuchen). Wenn die Nummer aufgerufen wird, darf man rein. Ich bin unsicher und warte erst einmal. Margit Seimel, meine Mit-Presbyterin, kommt und nimmt auch keine Nummer.

„Wir erhalten jeder eine Blechmarke …“
Als Pfarrerin Uta Walger noch mit einem weiteren Gemeindeglied kommt, sind wir von der Bickendorfer Gemeinde komplett. Uta huscht mit einem Pärchen, dessen Nummer gerade aufgerufen wird, einfach rein, was sofort einen gewissen Protest beim Beamten an der Pforte auslöst. Er hat dann doch Mitleid, und wir dürfen den Zettel im Warmen ausfüllen. Er behält unsere Ausweise, wir erhalten jeder eine Blechmarke mit einer Nummer. Auf meiner Marke steht 40. Diese Marke und den Zettel müssen wir wieder abgeben, wenn wir das Gefängnis verlassen wollen. Per Knopfdruck öffnet sich die nächste Tür für uns. Jetzt sind wir in einem kleinen Warteraum. Man kann nicht viel sehen: rechts eine Tür mit einem kleinen Glasfenster oben – dadurch sieht man eine Wand, ein Stück Flur, einen Spiegel, durch den man wieder eine Wand und ein Stück Flur sieht. Ich bin froh, als die Gefängnispfarrerin uns abholt. Hinter der nächsten Tür erwarten uns eine Beamtin und ein Beamter. Wir müssen alles, was wir dabei haben, in Schließfächer packen. Uta hat zwei hübsche Glassteine als Geschenk für die Konfirmandinnen dabei. Es wird diskutiert, ob die nicht gefährlich sind: man könnte sich oder andere damit verletzen…Schließlich wird entschieden, wir dürfen sie mitnehmen. Entweder, die Angehörigen nehmen sie mit oder die Steine werden in der „Kammer“ gelagert, bis die zwei Frauen entlassen werden. Weil es kalt ist, dürfen wir unsere Jacken mitnehmen.

Gang in den „Bauch eines Gebäudes“
Jetzt geht es durch verschiedene Gänge. Einfach nur Gänge, gelblich gestrichen. Immer wieder Türen, die für uns aufgeschlossen und nach uns wieder zugeschlossen werden. Ein Stück weit auch über einen Hof. Überall Lampen mit diesem gespenstischen gelb- grünlichen Licht. Dann wieder Türen, Gänge, Türen. Man fühlt sich, als gehe man in den Bauch eines Gebäudes. Dann kommt die Kirche. Auch die muss auf- und nach uns wieder zugeschlossen werden. Die Kirche gefällt mir: der Weihnachtsbaum steht noch da und die Krippe, ein Naturstein mit kleinen Glassteinen daran – hinten links sehe ich ein paar Djembe-Trommeln. Aber es gibt kaum Fenster – nur Mauern. Wir gehen durch die Kirche und hinten rechts in einen Gang, der sehr gemütlich ist, die Sakristei sozusagen. Hier stehen Pflanzen und es gibt eine Fensterfront. In einem Zimmer ist für den Kaffee nach der Andacht gedeckt. Hier warten auch die anderen „Gäste“.

Auch die Schwester darf dabei sein
Alle zusammen gehen wir in einen gemütlich hergerichteten Nebenraum der Hauptkirche, der nicht so kalt ist und ansonsten für Meditationen genutzt wird. Auf dem Tisch steht eine Vase mit roten Rosen, eine Konfirmationskerze, schöne Keramikschalen für das Abendmahl. Wir sitzen um diesen Tisch. Wir, das sind: Sandra und Jessica, die Konfirmandinnen. Beide haben ihre Zellenmitbewohnerinnen dabei. Für Sandra ist noch die Mutter mit ihrem Lebensgefährten gekommen. Bei Jessicas Konfirmation darf auch ihre Schwester dabei sein. Sie hat eine hübsche Konfirmationskerze gebastelt. Dann sind noch eine Ordensschwester und eine Sozialarbeiterin von der Obdachlosenhilfe dabei – sie bieten in der JVA einen Gesprächstreff für Frauen an -, wir vier aus der Bickendorfer Gemeinde und die Gefängnispfarrerin natürlich. Diese stellt bei einer kleinen Begrüßungsrunde alle vor. Sie spielt Gitarre und wir singen ein Lied dazu.

„Unser versklavtes Ich ist ein Gefängnis“
Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirte…“ ist der Kern der Andacht. Wie die Frauen das aus dem Konfirmandenunterricht gewohnt sind, sollen sie sagen, was ihnen zu dem Text einfällt. Sie tun das auch ohne Scheu, obwohl wir ihnen doch sehr fremd sein müssen. Von Vertrauen ist die Rede, vom „finstern Tal“, aus dem man aber auch wieder herauskommen kann, und auch von Verpflichtung wird gesprochen. Uta erzählt von einer Salbung, die sie als sehr eindrucksvoll empfunden hat, Margit von ihrem Konfirmationsspruch, der aus diesem Psalm stammt. Dann stellen auch die beiden jungen Frauen ihre Konfirmationssprüche vor. Beide sind relativ lang. Der von Jessica endet: „…Ich kann jetzt wieder gerade Schritte gehen.“ Die Konfirmandinnen werden gesegnet. Wir feiern das Abendmahl. Die Liturgie ist ein wenig anders als ich sie kenne. Einfacher, verständlicher. Zum Abschluss singen wir eines meiner Lieblingslieder „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer…“ Die dritte Strophe ist hier sehr wahrhaftig: „Und dennoch sind da Mauern zwischen Menschen, und nur durch Gitter sehen wir uns an. Unser versklavtes Ich ist ein Gefängnis und ist gebaut aus Steinen unsrer Angst.“

Hoffnung auf Entlassung im Februar
Nach der Konfirmation gehen wir mit Blumen und Kerzen in den Raum, der zum Kaffee Trinken hergerichtet ist. Alle müssen erst einmal rauchen, aber als dann die Tür zu ist und es etwas wärmer wird, ist es richtig gemütlich bei Kaffee und Kuchen. Neben mir sitzt die Zellenmitbewohnerin von Sandra. Jessica, eine der Konfirmandinnen, ist sehr aufgekratzt und lebendig. Sie freut sich, dass ihre Schwester da ist. Jessicas Aktivitäten im Knast sind vielfältig: Radiogruppe, Gesprächskreis, Gottesdienstvorbereitung, Realschulabschluss, der unmittelbar bevorsteht. Wie sie so dasitzt, sieht sie jung, gesund (!), hübsch und lebensfroh aus. Ich wünsche mir (und ihr!), dass sie das, was sie jetzt ausstrahlt auch mitnehmen kann in ihr nächstes Leben. Sie hofft, im Februar entlassen zu werden. Dann will sie das Abitur machen.

Konfirmation in der eigenen Kleidung
Die Frauen brauchen keine Anstaltskleidung zu tragen. Sie dürfen eine begrenzte Anzahl eigener Kleidungsstücke mitbringen. Man sieht, dass sich alle hübsch zurecht gemacht haben für die Konfirmation. Sie sind gerührt und stolz. Stolz darauf, aus freien Stücken diese Entscheidung getroffen zu haben. Als sie 13, 14 Jahre alt waren, konnten sie eine Konfirmation nicht annehmen. Jetzt haben sie sich beide ganz bewusst für die Aufnahme in die Gemeinde entschieden. Sie möchten ein Foto von diesem besonderen Tag im Knast haben. Dazu müssen sie erst schriftlich bestätigen, dass die Gefängnispfarrerin ein Foto machen darf. Dann bekommen sie ihre Geschenke: von der Gefängnispfarrerin jede ihre eigene Bibel. Darüber freuen sie sich sehr, denn die Exemplare in der Kirche waren ziemlich zerfleddert. Von Uta Walger bekommen sie Glückskäfer und die Glasprismen. Die Glassteine sollen sie daran erinnern, dass immer Licht da ist und dass das Leben bunt und facettenreich ist. Beide Konfirmandinnen entscheiden, die Glassteine ihren Verwandten mitzugeben und nicht „auf Kammer“, wie das hier heißt. Es ist klar, dass hier auch eine eigene Sprache herrscht. Hier, das ist „drinnen“, da ist man mit jemandem „auf Zelle“, da ist der Tag umrahmt vom „Aufschluss“ und “ Einschluss“.

„Ich fühle mich bedrückt“
Wir dürfen jetzt wieder nach draußen. Beim Abschied wünschen wir alles erdenklich Gute für den Start in das neue Leben, das für beide Konfirmandinnen bald beginnen wird – es sollen ja jetzt gerade Schritte auf festem Boden werden! Dann treten wir den Rückweg an aus dem Innersten des Gebäudes zurück zur Pforte, wieder durch zahlreiche Türen, die vor uns aufgeschlossen werden und nach uns wieder zugeschlossen. Die Gefängnispfarrerin verabschiedet uns. Sie muss sich jetzt durch alle Türen zurückarbeiten zu den Frauen, um sie wieder in ihre Zellen zu bringen. Wir holen unsere Sachen aus den Schließfächern, bekommen dann, eine nach der anderen, gegen Blechmarke und „Laufzettel“ unsere Ausweise zurück und dürfen dann, eine nach der anderen, das Gebäude wieder verlassen. Ich fühle mich bedrückt. Gerade zu Beginn der fröhlichen Karnevalszeit sollten wir die nicht vergessen, die hinter diesen Knastmauern ganz in unserer Nähe sind. Und auch nicht die, die selbst um sich herum Mauern aufbauen. An diesem Abend war ich noch in der Kerzenkirche. Da ging es um Hoffnung. Das tat gut!

Text: Angela Köhnlein
Foto(s): Celia Körber-Leupold