Ein besonderes Werk hatte Andreas Meisner für sein Abschiedskonzert mit dem Oratorienchor Köln ausgewählt. Unter der Leitung des Domorganisten und Kirchenmusikdirektors am Altenberger Dom führten die annähernd 120 Sänger und Sängerinnen das selten zu hörende Requiem von Antonín Dvořák am Samstagabend zusammen mit der Neuen Philharmonie Westfalen, Sopranistin Liudmila Slepneva, Altistin Saskia Klumpp, Tenor Ricardo Tamura und Bassist James Moellenhoff in der Kölner Philharmonie auf. Ein Großwerk der Spätromantik, das Dvořák nicht für den kirchlichen Gebrauch, sondern für den Konzertsaal komponiert hatte und das die Besucher in Meisners emotionaler, bewegender Interpretation am Ende mit stehenden Ovationen feierten.
Andreas Meisner gibt die Leitung des „Oratorienchors Köln im evangelischen Stadtkirchenverband“, der 1957 als „Chorgemeinschaft im evangelischen Stadtkirchenverband“ gegründet wurde, nach 32 Jahren ab. Mit der Aufführung des anspruchsvollen Requiems bewies er, dass er seinem Nachfolger eine vorzügliche Sangesgemeinschaft hinterlässt. Die machtvollen, bedrohlich-düsteren Fortissimos im Dies Irae und deren ekstatische, hoffnungsvolle Entsprechungen im Offertorium machten die Extreme geradezu sinnlich spürbar, die ein gläubiger Mensch zwischen der Verzweiflung angesichts eines gewissen Todes und der Hoffnung auf Erlösung erlebt. Auch in den vierstimmigen Passagen, die Sänger und Sängerinnen zur Höchstleistung fordern, bewahrte der Chor seine Intonationssicherheit und überzeugte das gebannt lauschende Publikum mit der Kraft seines Ausdrucks.
Dabei verwöhnt das Requiem den Zuhörer keineswegs mit eingängigen Melodien oder gar Ohrwürmern. Die Faszination der dunkel glänzenden Komposition liegt in der Art und Weise, wie Dvořák die katholische Totenmesse in 13 Sätzen auf der Grundlage des lateinischen Texts musikalisch interpretiert und dabei die Fülle der klanglichen Möglichkeiten der Orchester- und Chormusik zur Entstehungszeit um 1890 ausschöpft. Die mannigfaltigen Klangfarben des Orchesters und die teils kühnen Harmonien, der stete Wechsel zwischen dramatischen und lyrischen Passagen, zwischen Chor und Solisten, auch das plötzliche Auftauchen düsterer Akzente im eigentlich doch Hoffnung und Trost spendenden zweiten Teil weisen darauf hin, dass hier ein Individuum mit seinen Zweifeln, Ängsten, Fragen und Sehnsüchten den letzten Dingen gegenübersteht.
Diesen „emotionalen Tiefgang“ des Requiems brachte Andreas Meisner den Zuhörern zusammen mit den Sängern und Instrumentalisten unmittelbar nahe. Nur „nach langer Überlegung und mit schwerem Herzen“ habe er den Beschluss gefasst, die Leitung des Oratorienchors Köln abzugeben, um sich ganz seinen Aufgaben am Altenberger Dom zu widmen, hatte der 59-Jährige zuvor mitgeteilt. Dieses Konzert dürfte den Abschied nicht erleichtern.
Foto(s): Hans-Willi Hermans