Erstaunlich, was simple Nachbarschaft manchmal so alles bewirken kann: Georg Schnitzler wohnt seit zwei Jahren in dem Wohnhaus direkt an der evangelischen Lutherkirche in der Kölner Südstadt. Und immer sahen Schnitzler und sein Compagnon Marek Pawleta von dort hinab in das Atrium der Kirche, die dafür bekannt ist, besonders gut feiern zu können. Nun muss man wissen: Schnitzler und Pawleta haben 1995 gemeinsam mit drei anderen Mitstreitern das Kölner Wohnzimmertheater gegründet. So reifte in den zwei Jahren an der Lutherkirche ein Plan, der dann ganz schnell seine Umsetzung fand: Schnitzler schlug Pfarrer Hans Mörtter vor, im Sommer das Atrium zu bespielen: „Hans war sofort Feuer und Flamme.“ Und so kam es.
Der erste Auftritt neben „alten Hasen“ – die Vielfalt macht’s
Jetzt war – während die WM-Halbzeitspiele liefen – der erste Auftritt des Wohnzimmertheaters im Innenhof der Kirche, mit der Truppe der Lese-Show „fett& kursiv“, in der neben der „Stamm-Mannschaft“ immer auch Gäste lesen dürfen. So steht dann ein Autor zum ersten Mal in seinem Leben auf der Bühne – direkt nach dem Auftritt eines „alten Hasen“ wie beispielsweise Rich Schwab. Doch dies ist nicht „Poetry Slam“, die Gäste sind handverlesen – und stehen den „Profis“ des Wohnzimmertheaters in nichts nach. Anfang Juli war der Auftakt, am 2. August sind die Autorinnen und Autoren wieder mit komischen und besinnlichen, episch breiten und kurz pointierten, experimentellen und traditionell „gestrickten“ Texten, Gedichten oder Roman-Teilen, Erinnerungen oder Geschichten „auf Bestellung“ zu hören. Und wer während eines solchen Abends einen Lieblingsautor, eine Lieblingsautorin gefunden hat, kann ihn oder sie auch im August noch in Einzelauftritten im Lutherkirchen-Atrium – bei Bratwürstchen vom Grill, mit Bier oder anderen Getränken in der Hand – erleben: Alida Pisu und Georg Schnitzler, Andreas Hauffe, Dagmar Schönleber oder Katinka Buddenkotte: Sie alle lesen hier jeweils an einem Samstag, immer um 20 Uhr, den genauen Plan aller Auftritte gibt es hier.
Warum Fliegen auf Kühe fliegen
Und dann die zweite Nachbarschaftsgeschichte. Auch sie beginnt unspektakulär – und endet in einem Erfolg: Nachbarin von Georg Schnitzler ist auch Alida Pisu: „Wir sind beide Autoren, und haben uns anfangs nur so – als Fingerübungen sozusagen – ausgetauscht“, erzählt Schnitzler. Daraus entstanden dann gemeinsam geschriebene Texte mit dem schönen Titel „Warum Fliegen auf Kühe fliegen“. „Ganz schön anstrengend“, sagt Schnitzler. Und dann geschah Folgendes: „Tatort: Ein Wohnzimmer im Süden Kölns Alida Pisu und Georg Schnitzler fassen nachts um 3.30 Uhr einen teuflischen Plan. Sie wollen zwar nicht ihre Seelen, aber ihre Gedanken zu Markte tragen. Kommen sie auch selten zu Potte, so kamen sie doch zum Pod-Casting.“ Und damit nicht genug: Sie rutschen mit ihren „skandalösen, banalen, wahnwitzigen und alltäglichen Texten quasi von jetzt auf gleich unter die erfolgreichsten Podcasts. Aus diesen Texten lasen sie dann auch am ersten Abend von „fett & kursiv“ open air, gemeinsam voller Sprach-Poesie, wie in ihrem Gedicht auf eine Kartoffel; Pisu allein war an diesem Abend „eher für das Besinnliche“ zuständig. Wirklich kurzweilig wurde es dann wieder bei der Lesung der „bezaubernden“ – so die Ansage einer Kollegin – Dagmar Schönleber mit ihrem Alptraum „Ich habe Torsten Frings überfahren“.
Und immer wieder: „Jetzt kommt ganz was anderes“
Es ist schier unmöglich, auf all die unterschiedlichen Facetten des Gelesenen einzugehen, auf den Qualtinger-reifen Plot von Gast Andreas Valentin, bei dem sich unterschiedliche Einzelstimmen zu einem Drehbuch im Kopf formieren, auf die überbordende Fabulierlust eines Rich Schwab, der – während er das Thema Fußball umkreist – immer weiter abschweift, zu Onkel Fritz mit dem Glasauge, der das Ohrfeigen zu einer eigenen Disziplin machte, zu Geschichten von Vogelsangs Baggerloch „Wassermann“, das kleine Jungs schnell in Schwierigkeiten bringen konnte, und das alles zu einer Zeit, als es -nicht nur in Vogelsang – noch Schrotthändler und Bakelit-Puppen als Kinderspielzeug gab. Ach ja, und der Fußballclub, das war Grün-Weiß Vogelsang. Wie dann Andreas Hauffe wie mit einem Kopfsprung vom 10-Meter-Turm mitten in seine Geschichte stürzt, die Geschichte eines Alkohol-Entzugs, der nicht wirklich wie angeblich immer „ganz harmlos“ angefangen hat. Wie Georg Schnitzler merkwürdige WM-Meldungen sammelt und weiterspinnt, die Zwillingsschwestern Pia und Elena in Gerlis Zillgens‘ Fortsetzungs-Geschichte all die Marterqualen verliebter Teenager erdulden müssen, und Dagmar Schönleber indischer Reisebericht erst schier ohnmächtig vor Lachen macht, um dann ganz plötzlich in ernste und ernst zunehmende Warnungen umzuschlagen. Auf all das trifft wohl am ehesten zu, was Schnitzler einmal so nebenbei in seiner Moderation sagte: „Jetzt kommt ganz was anderes.“
Und am Mittwoch, 2. August, (20 Uhr, Atrium der Lutherkirche, Martin-Luther-Platz 2-4, Köln-Südstadt) kommt sicher wieder was ganz anderes – schauen Sie es sich an!
Foto(s): Al-Mana