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Altenberger Forum diskutierte über Bevölkerungsentwicklung und deren Auswirkungen auf Kirche, Politik und Verwaltung

Wie funktioniert die Gemeindearbeit der Zukunft? Darüber machten sich fünf Fachleute auf dem 10. Altenberger Forum „Kirche und Politik“ Gedanken, initiiert wie immer vom Landrat und dem Ökumeneausschuss des Rheinisch-Bergischen Landes unter dem Vorsitz des evangelischen Superintendenten Kurt Röhrig. Thema des Abends: „Die Bevölkerungsentwicklung im Blick auf die Gemeinden und die Beziehung von Kirche und Politik“, die Moderation hatte die Journalistin Ute Glaser.


Zum Auftakt: ökumenischer Gottesdienst und Linsensuppe
„Eine Gesellschaft in dieser Form hat es noch nie gegeben. Es kommen Veränderungen auf uns zu, denen sich Kirche, Politik und Verwaltung stellen müssen.“ Mit diesen Worten eröffneten die Gastgeber Rolf Menzel, Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises und Kurt Röhrig, Superintendent und Vorsitzender des Ökumeneausschusses die Podiumsdiskussion. Etwa 130 Gäste waren der Einladung ins Altenberger Martin-Luther-Haus gefolgt. Unter ihnen einige Bürgermeister bergischer Gemeinden – sie hatten das Thema gewählt. Nach einem ökumenischen Gottesdienst im Altenberger Dom und der traditionellen Stärkung mit Linsensuppe waren sie in den Saal gekommen, um über die Probleme der Zukunft zu diskutieren.

„Wir brauchen die Freiwilligkeit“
Nach einem Kurzvortrag von Profesoor Dr. Werner Schönig gab es ein vielseitiges Podiumsgespräch mit Kennern von regionalen und überregionalen Entwicklungen, Ideen und Strategien. Die problematische Ausgangslage wurde schnell klar: Die Gesellschaft leide unter verstärkter Überalterung, so die Grundannahme, vor allem in Ballungsgebieten leiden Kommunen unter einem drastischen Bevölkerungsrückgang, die soziale Singularisierung schreite fort.
„Wir werden ganz neue Modelle bekommen“, prognostizierte Anke Kreutz zu Beginn. Die Pfarrerin leitet die Evangelische Frauenhilfe im Rheinland. Heute, so die Theologin, seien acht Prozent der Beschäftigten in der Versorgung von Alten und Kranken tätig. Bis 2020, so Kreutz, steige diese Zahl auf 24 Prozent an. Doch wer die bezahlen solle, das konnte keiner der anwesenden Experten konkret beantworten. Ansätze gab es dennoch: Eine „multiprofessionelle“ Arbeitsteilung in der stationären Altenpflege sei eine Lösung, schlug Cornelia Klien vor. Sie leitet in der Rheinisch-Bergischen Kreisverwaltung den Bereich Soziales und Gesundheit. „Das Anreichen von Essen muss nicht durch eine examinierte Krankenpflegerin geschehen“, so Klien. Auch angelernte Hilfskräfte könnten diese Art von Diensten erledigen. „Wir brauchen die Freiwilligkeit“, postulierte Kreutz daraufhin, „damit wir in Zukunft soziale Leistungen finanzieren können.“ Als positives Beispiel nannte sie das japanischen Sozialpunktesystem, bei dem Bürgerinnen und Bürger durch freiwillige soziale Dienste selbst Anspruch auf diese erhalten, wenn sie sie benötigen.

Bürgerstiftung Bad Godesberg: Kirche und Kommune gemeinsam 
„Ihr Bürger müsst uns helfen“, forderte Dr. Wolfgang Picken auf. Der Politikwissenschaftler leitet als katholischer Pfarrer eine Gemeinde in Bad Godesberg. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit habe er eine Menge Probleme gehabt, erzählte er: Das Pfarrhaus sollte verkauft, zwei Kindergärten geschlossen und jede Menge Leistungen gestrichen werden. Er handelte sofort, schuf eine Bürgerstiftung, sammelte Geld. „Wir müssen versuchen, die Bürger dafür zu gewinnen, was ihr eigenes Anliegen ist“, sagte er. Innerhalb von drei Monaten konnten beide Kindergärten gerettet werden. Zudem sucht die von ihm gegründete Bürgerstiftung auch heute noch nach ehrenamtlichen Kräften, mittlerweile auch per SMS. Das Ergebnis: „Die Leute reißen uns die Aufgaben aus der Hand“, berichtete der Pfarrer. Seine Erklärung: „Wenn Projekte entwickelt werden, die jedem Bürger interessant erscheinen, ist die Mobilisierungsquote extrem hoch“.  Dass so etwas funktioniert, konnten sich keineswegs alle Anwesenden vorstellen: Als eine „Fata Morgana“ erschien dieses Modell einem Diskussionsteilnehmer.

„Leitbildprozess muss voran getrieben werden“
Für eine gemeinsame Problemfindung setzte sich Cornelia Klien ein: „Es muss ein Leitbildprozess in die Gänge kommen“, forderte die städtische Bereichsleiterin. Die Verwaltungen müssten gemeinsam mit der Politik und der Kirche erörtern, welche Ausgangslage vorherrsche, welche Ziele vor Ort erstrebt würden und welche Steuerungsmöglichkeiten etabliert werden könnten. Als positives Beispiel hierfür nannte sie die kommunale Gemeinde Kürten. Dort würde versucht, den Wohnort besonders für Familien attraktiv zu gestalten. Damit würde der Singularisierung entgegen gewirkt. Dass Kürten kein Präzedenzfall für alle Gemeinden sein könne, stellte ihr Verwaltungskollege Thomas Merten klar: „Wir haben hier ein Bevölkerungswachstum von etwa 0,7 Prozent.“ Das beruhe aber auf Zuwanderung, die Sterberate sei gleich hoch wie die Geburtenrate. Zuwanderung bedeute: Es siedeln sich Familien an. „Dadurch sind wir einfach in einer besseren Lage.“ Im Ballungsgebiet an der Ruhr beispielsweise habe man derzeit einen Bevölkerungsrückgang von etwa 10 Prozent.  Das Streben nach dem Leben im Familienverbund zu verstärken, darin sah Anke Kreutz eine mögliche Lösung: „Dafür müssen wir aber traditionelle Wege verlassen“, so Kreutz, „wir brauchen Verbindlichkeiten, die über die traditionelle Familie hinausgehen.“

Text: Pehle
Foto(s): Pehle