Rund 200 interessierte Bürgerinnen und Bürger haben sich am Abend des 29. Altenberger Forums im Martin-Luther-Haus eingefunden, um über das Thema „Fundament erschüttert? Extremismus in unserer Gesellschaft“ zu diskutieren. Aufgrund des großen Andrangs mussten sogar noch zusätzliche Stühle organisiert werden, um allen Anwesenden Platz zu bieten. Die Veranstaltung, die im Altenberger Dom mit einem ökumenischen Gottesdienst begonnen, setzte sich mit der wachsenden Polarisierung und den Herausforderungen für Demokratie und Gesellschaft auseinander. „Tatsächlich erleben wir gerade, wie groß die Sorge in weiten Teilen der Gesellschaft ist, dass die freiheitlich, demokratischen Grundfeste auch in unserem Land ins Wanken geraten“, sagte Superintendentin Kerstin Herrenbrück zu Beginn des Gottesdienstes. „Dass wir heute gemeinsam, in ökumenischer Verbundenheit, bekräftigen, dass Extremismus und Diskriminierung in unserer Gesellschaft nicht zu dulden ist, das ist ein starkes Zeichen.“
„70 Prozent der Menschen in Deutschland können mit dem Staat nichts mehr anfangen“, sagte Innenminister Herbert Reul zu Beginn der anschließenden Podiumsdiskussion. Diese Zahl, die ihn seit Monaten beschäftigt, sei ein alarmierendes Zeichen. „Das ist mehr als nur Unzufriedenheit mit einzelnen Parteien oder Politikern – es ist ein fundamentales Problem.“ Moderator und Journalist Wolfgang Meyer führte daraufhin aus, dass dieses Gefühl der Entfremdung auch in den Ergebnissen der Landtagswahlen in den neuen Bundesländern sichtbar wurde. Prof. Dr. Sabrina Krauss, Psychologin an der SRH Hochschule Nordrhein-Westfalen, erklärte, dass es oft die „gefühlten Wahrheiten“ seien, die stärker wirken als Fakten. „Extremistische Ideologien bieten einfache Lösungen und sprechen das Bedürfnis nach Identität, Kontrolle und Zugehörigkeit an. Das macht sie für viele Menschen so attraktiv.“ Sie betonte, dass Frustration und Angst durch Krisen wie die Pandemie, den Ukrainekrieg und wirtschaftliche Unsicherheiten zusätzlich verstärkt würden.
Ein weiterer Schwerpunkt der Diskussion lag auf der Rolle der Medien und sozialen Netzwerke. Prof. Dr. Marc Ziegele, Kommunikations- und Medienwissenschaftler an der Universität Düsseldorf, erklärte: „Die Mechanismen sozialer Medien fördern Fragmentierung und Polarisierung. Kontroverse und emotional aufgeladene Inhalte haben einen hohen Nachrichtenwert und verstärken dadurch Extremismen.“ Ziegele hob hervor, dass Parteien wie die AfD besonders geschickt mit sozialen Medien umgingen. „Die AfD hat auf TikTok mehr Follower als alle anderen Parteien zusammen“, sagte er. „Sie nutzt die Plattform gezielt, um junge Menschen zu erreichen.“ Gleichzeitig bemängelte er, dass andere Parteien in diesem Bereich oft zurückhaltend agieren: „Es fehlt nicht nur an Präsenz, sondern auch an professionellen Strategien.“
Prälat Dr. Karl Jüsten, Leiter des Katholischen Büros in Berlin, plädierte dafür, soziale Medien offensiv zu nutzen, um positive Botschaften zu verbreiten: „Die Demokratie ist auf Menschen angewiesen, die sich für sie einsetzen. Wir müssen das Engagement sichtbar machen und Werte wie Menschenwürde und Respekt in den Mittelpunkt rücken.“ Ein zentraler Diskussionspunkt war die Frage, wie die Gesellschaft radikalen Strömungen entgegentreten kann. „Wir müssen mit den Menschen reden, bevor sie sich abwenden“, sagte er weiter. Jüsten betonte, wie wichtig es sei, den Dialog mit enttäuschten Bürgerinnen und Bürgern aufrechtzuerhalten. Auch Innenminister Reul schloss sich diesem Appell an: „Probleme müssen klar benannt und Lösungen geliefert werden. Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass sich die Dinge von allein verbessern.“
Aus dem Publikum kamen Vorschläge zur Förderung politischer Bildung und Prävention, besonders bei Jugendlichen. Eine Teilnehmerin regte an, politische Veranstaltungen stärker in Schulen zu verankern. Prof. Ziegele ergänzte, dass es zahlreiche Bildungsprogramme gebe, wie etwa die Initiative Demokratie leben. „Das Problem ist weniger das Angebot, sondern die Reichweite. Viele Jugendliche kennen diese Programme schlicht nicht.“ Ein Teilnehmer stellte die Frage: „Wer erzählt mit einfachen Worten, was ohne Demokratie nicht klappt?“ Herbert Reul griff diesen Gedanken auf: „Warum feiern wir nicht die Demokratie? Warum machen wir nicht sichtbar, wie wichtig Rechtsstaatlichkeit und die Achtung von Grundrechten sind?“ Er verwies darauf, dass viele Menschen die Errungenschaften der Demokratie als selbstverständlich hinnähmen, ohne ihren Wert wirklich zu schätzen. Prälat Karl Jüsten betonte abschließend, dass die Kirche hier ebenfalls Verantwortung trage: „Es geht an die Fundamente unseres Glaubens und unserer Demokratie. Wir müssen Haltung zeigen und die Menschen erreichen – auch in Bereichen, in denen wir vielleicht nicht mehr so präsent sind wie früher.“
Insgesamt zeigte das 29. Altenberger Forum eindrücklich, wie vielschichtig die Herausforderungen im Umgang mit Extremismus sind. Vor den rund 200 Zuhörerinnen und Zuhörern wurde deutlich, dass es einer breiten gesellschaftlichen Anstrengung bedarf, um demokratische Werte zu stärken und die Menschen für die Demokratie zu begeistern. Der Austausch zwischen Politik, Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft bleibt dabei unverzichtbar. Veranstalter waren der Ökumene Ausschuss im Rheinisch-Bergischen Kreis und der Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises.
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