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Als Pfarrer nochmal neu starten

Einen Apfelbaum zu pflanzen, das ist für alle, die Luthers Zitate kennen, mehr als ein botanischer Akt. Es ist ein Zeichen der Hoffnung, ein Symbol dafür, dass es auch angesichts krasser Änderungen weitergeht und dass sich niemand von Umwälzendem ins Bockshorn jagen lassen sollte.

Carsten Bierei hat ein Apfelbäumchen gepflanzt. Er hat in Bergisch Gladbach an der Heilig-Geist-Kirche im Stadtteil Hand nochmal neu als Pfarrer angefangen – und den Obstbaum sogleich im Pfarrgarten in die Erde gebracht. Mit 45 Jahren, mit Erfahrung im In- und Ausland, mit Ehefrau und zwei kleinen Söhnen möchte er, genau wie der Baum, Wurzeln schlagen und mit seiner Familie in der neuen Gemeinde heimisch werden.

Gebürtiger Pfarrerssohn aus Mayen
Carsten Bierei trägt Jeans zum Sakko. Auf seine zurückhaltend freundliche Art wirkt er schon jetzt im Foyer der Kirche, wo sonntags nach dem Gottesdienst der Kirchenkaffee stattfindet, als würde er dorthin gehören und sei nie woanders gewesen. Dabei ist der Kontrast zwischen dem Heute und dem Früher groß. Denn bevor der Theologe im Oktober im Bezirk Hand-Paffrath der Evangelischen Kirchengemeinde Bergisch Gladbach offiziell eingeführt wurde, war er elf Jahre Pfarrer in der Düsseldorfer City gewesen. Zuvor hatte der gebürtige Pfarrerssohn aus Mayen seine Jugend im Saarland und Mönchengladbach verbracht, in Wuppertal und Bonn studiert, sein Vikariat in Geldern absolviert, ein einjähriges Auslandsvikariat in England drangehängt und dann den Probedienst in Neuss geleistet.

„Ich musste zwei Systeme bedienen“
2005 begann er als Pfarrer in Düsseldorfs Mitte an der Kreuzkirche zu arbeiten, in den letzten sieben Jahren jedoch nur mit halber Stelle, die anderen 50 Prozent Arbeitszeit verbrachte er als Religionslehrer am Berufskolleg. „Schule tickt ja ganz anders als Gemeinde“, sagt Carsten Bierei und setzt freimütig hinzu: „Ich musste zwei Systeme bedienen und war ans Limit gekommen.“ Deshalb bewarb er sich auf die freie Stelle in Bergisch Gladbach, das ihm bis dahin fremd war. Ein Sprung ins Unbekannte. Doch während der langen Bewerbungszeit begann bereits die beidseitig erfreuliche Annäherung.

„Für mich ist es jetzt ganz anders“
„Es ist für mich jetzt ganz anders“, fasst der Pfarrer den Wechsel von der Metropole in die „kleinste Großstadt der Welt“, wie er schmunzelnd sagt, zusammen. In Düsseldorf war er einer von drei Pfarrern an seiner Predigtstätte. „Hier ist jeder Pfarrer für seinen Kirchturm und seinen Bezirk zuständig“, deren Prägung sehr verschieden sei. Eine Vielfalt, die er als Bereicherung schätzt, denn: „Jeder Christ hat seinen eigenen Frömmigkeitsstil. Jeder Mensch glaubt anders.“ Für ihn sei es schön, jetzt nur im kleinen Team mit drei Prädikanten, dem Küster und Kantor zusammenzuarbeiten. „Ich finde, das macht die Arbeit befriedigender.“

„Ein Bezirk, der sehr vielfältig ist“
Auch die neue Gemeindestruktur gefällt Carsten Bierei. Während zur Düsseldorfer Gemeinde 12.500 Gemeindeglieder gehörten, die aufgrund der speziellen City-Struktur etwa 30 Konfirmanden „hervorgebracht haben“, zählt der Bezirk Hand-Paffrath nur 3.100 Gemeindeglieder und verzeichnet dennoch 70 Katechumenen und Konfirmanden dieses Jahr. „Es ist hier ein Bezirk, der sehr vielfältig ist“, hat der 45-Jährige in der kurzen Zeit bereits festgestellt. „Und die Menschen sind mit der Heilig-Geist-Kirche verwurzelt.“ Etliche Senioren hätten sogar nach dem Krieg als Flüchtlinge 1962 die Kirche mit aufgebaut und würden die vorherige Notkapelle noch kennen.

„Ich erlebe eine Art Aufbruchsstimmung“
„Ich freue mich über die herzliche Aufnahme hier in der Gemeinde“, gesteht Carsten Bierei. Dass die Zeit der Vakanz nun vorbei sei, freue viele. „Viele Wünsche und Initiativen werden an mich herangetragen. Ich erlebe hier so eine Art Aufbruchsstimmung, die ich gerne aufnehme und unterstütze.“ So gebe es einen älteren Herrn, der Bibelabende angeregt habe und daraus sei nun eine Bibelwoche im Januar 2017 entstanden. Die Mütter der Konfirmanden wünschten für sich eine eigene Gruppe. Um weitere Ideen in engem Kontakt mit den Gemeindegliedern zu entwickeln, habe sich ein Arbeitskreis gegründet.

Neuerung bei Trauerfeiern: Sarg am Altar
Eine Neuerung ist bereits eingeführt: Bei Trauerfeiern in der Kirche darf ab sofort der Sarg oder die Urne am Altar stehen. Fast holterdipolter brach sich diese Neuerung Bahn, als Bierei gerade angekommen war und eine alte Dame beerdigt werden sollte. „Das war meine erste große Amtshandlung in Hand.“ Die alte Dame war noch in der Notkapelle getauft, später in der Hander Kirche konfirmiert und getraut worden, auch ihre Kinder wurden dort getauft und konfirmiert. Dass die Satzung es verbot, den Sarg der Verstorbenen in der Kirche aufzustellen, konnten die Angehörigen nicht begreifen – und Carsten Bierei auch nicht. „Da haben wir den Beschluss aufgehoben und geändert.“ Rund 200 Trauergäste dankten den Schnellschuss.

Gitarre, Jonglage und Zaubertricks
Carsten Bierei liebt seinen Beruf. „Ich finde die Vielfältigkeit toll. Man kann auch Hobbys einfließen lassen.“ Er macht nicht nur gerne Sport, sondern spielt auch Gitarre – was für Seniorennachmittage, Aktionen mit Jugendlichen und Schulgottesdienste günstig ist. „Und ich jongliere gerne.“ Durchaus auch hoch oben auf der Artistenleiter. Damit hat er 2007 schon beim Evangelischen Kirchentag in Köln brilliert. „Ein Pfarrer muss auch Unterhalter sein.“ Ideal ist es für ihn, das Spielerisch-Lockere mit der biblischen frohen Botschaft zu verbinden. Wenn gewünscht – garniert mit ein paar Zaubertricks.

Der Traum vom universellen Gottesdienst
Dies alles möchte der 45-Jährige an der Heilig-Geist-Kirche in engem Miteinander mit den Gemeindegliedern leben. Natürlich hat er selbst auch Wünsche. „Es muss hier noch was passieren für die Jugendlichen nach der Konfirmation“, sagt er. Außerdem träumt Carsten Bierei von einer universellen Gottesdienstform, „in der alle ein Zuhause haben – Alt und Jung.“ Viele Familiengottesdienste will er deshalb anbieten und womöglich Bausteine des englischen „family worship“ übernehmen. Wie wäre es, wenn Kinder aus dem parallelen Kindergottesdienst ihre Ergebnisse den Erwachsenen am Gottesdienstende vorstellen? „Reizvoll am Neuanfang ist auch, dass man selbst nochmal neu überlegt und sich selbst neu herausfordert – und herausgefordert wird.“

Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser