Sonntag, 5. Februar 2012: Das Dietrich-Bonhoeffer-Haus war bis auf den letzten Platz besetzt, weiteren hundert Gottesdienstbesuchern blieben nur noch Stehplätze. Dafür hatten diese zumeist gute Sicht auf die vor Beginn vorne laufende Präsentation mit Fotos aus über 40 Jahren, die immer wieder Schmunzeln über die alten Zeiten auslöste und zahllose Erinnerungen wachrief.
Wofür hatte das Dietrich-Bonhoeffer-Haus in den vergangenen 43 Jahren nicht alles ein Dach geboten: angefangen von Krabbelgruppen und Kinderbibelwochen über Chorproben, Jugendkreise und Gemeindefeste bis hin zu Seniorenadventsfeiern und Krippenspielen. Und nicht zu vergessen einige Tausend Gottesdienste, besonders festliche wie ganz normale. Segnungen, Taufen, Konfirmationen, Trauungen, Beerdigungen – auch für Ankerpunkte des Lebens bot es die Kulisse. Schulgottesdienste, Seniorenturnen, Gebetstreffen, Bläserkreis, … die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Kurz, da war Leben in der (Gemeinde-) Bude! Die übrigens erst seit 1992 Dietrich-Bonhoeffer-Haus hieß. Früher ging man einfach ins „GH“ – Kurzformel für „Gemeindehaus“. Unzähligen Gemeindegliedern wurde der Betonbau aus den 1960er-Jahren zu einem Stück Heimat.
Exemplarisch für all die verschiedenen Menschen erzählten im Gottesdienst fünf Personen, zum Teil bewegt, wie das Dietrich-Bonhoeffer-Haus sie für ihr Leben und ihren Glauben geprägt hatte. Vertreter der kleinen Angolanischen Gemeinde, die hier ebenfalls ein Gast-Zuhause gefunden hatten, begeisterten mit einem schwungvollen Liedvortrag in ihrer Sprache Kikongo. Da konnte keiner still sitzen (oder stehen) bleiben, der Rhythmus ging in Hände und Füße – und half für einen Augenblick der Kälte ab, die immer mehr in die Glieder zog. Denn die Heizung hatte schon vier Wochen vorher beschlossen, endgültig ihren Geist aufzugeben. Gefühlte Temperatur: kurz über dem Gefrierpunkt. So bot der Gottesdienst auch in dieser Hinsicht ein beredtes Bild: Eingepackt in Daunenjacken oder eingehüllt in Decken, war die Gemeinde bereit zum Aufbruch an einen neuen Ort. Was den Abschied gefühlsmäßig durchaus erleichterte.
Das Thema Aufbruch griff Pfarrer Gerold Vorländer in seiner Predigt wieder auf, der er die Wanderung der Israeliten durch die Wüste (2. Mose 13,17-22) zugrunde legte. Auf ihrem Weg in die Zukunft hatten sie die Geschichte im Gepäck dabei. So gelte es auch für uns, „die Erfahrungen der Vergangenheit als Erfahrungsschatz mitzunehmen, ebenso Dinge aus dem Dietrich-Bonhoeffer-Haus, die auch in Zukunft eine positive Rolle spielen können“, wie Vorländer ausführte. Damit verwies er bereits auf die sakralen Gegenstände, die nach der Entwidmung symbolisch aus der Kirche getragen werden sollten, um der Gemeinde im neuen Gotteshaus wieder zu Diensten zu stehen. Tröstlich sei, dass unsere „Wüstenzeit“ keine vierzig Jahre dauere, wie bei den Israeliten, sondern nur ein Jahr: ein überschaubarer Zeitraum. Und im Übrigen: Gott gehe mit!
Unter Gottes Leitung behütet und bewahrt zu sein, erklang auch vom Gemeinde-Frauenchor, der den 23. Psalm in einer einfühlsamen Vertonung von Franz Schubert vortrug.
Mit Gebet und Segen schloss der Gottesdienst, der bis dahin eigentlich ein „normaler“, wenn auch aus gegebenem Anlass festlich ausgestalteter war.
Dann wurde es still in der Kirche, und Dr. Wilfried Klimkait sprach als dienstältester Stammheimer Presbyter die schlichten Entwidmungsworte: „Hiermit stellen wir nun das Dietrich-Bonhoeffer-Haus außer Dienst.“ Küster Peter Kraus löschte die Altarkerzen und die Osterkerze. Mit feierlichem Ernst wurden die Wandbehänge links und rechts vom Altar, das Antependium von der Kanzel, die Taufschale, die Altarbibel und die Osterkerze in eine große Truhe gelegt und stellvertretend für alle Sakralgegenstände hinausgetragen, gefolgt von den Altarkerzen. In der neuen Kirche werden sie erneut ihren Platz haben und dann eine Brücke zur Vergangenheit schlagen.
Ein letztes Mal erklang die Orgel. Sie zieht übrigens nach Asbach im Westerwald um – in die Gemeinde von Wolfgang Bauder, der von 1966 bis 1991 Pfarrer in Stammheim war und die Peter-Orgel einst angeschafft hatte. So schließt sich der Kreis. Organist Torben Zepke freut sich bereits auf die Orgel in der Immanuel-Kirche: Dort soll – nach Restaurierung – die Stahlhut-Orgel aus der ehemaligen Lukaskirche eingebaut werden und wird dann noch schöner als zuvor klingen.
Bei einer Tasse Kaffee konnte man sich im Anschluss wieder etwas aufwärmen und mit einer Laugenstange für den „Weg“ stärken. Viele der über 300 Besucher – Gemeindeglieder, Gäste, Ehemalige – nahmen sich Zeit für den Abschied vom Dietrich-Bonhoeffer-Haus und ließen ihre Erinnerungen noch einmal Revue passieren.
Was bleibt? Schmerz? Trauer? Ja, auch. Bei den meisten aber ganz viel Dankbarkeit für all das Schöne und Lebendige, das sie im Dietrich-Bonhoeffer-Haus erlebt haben. Bei etlichen auch Wehmut, Vertrautes hinter sich lassen zu müssen. Aber gepaart mit der nüchternen Überzeugung, mit dem Kirchneubau auf dem Weg in eine gute Zukunft zu sein. Und last but not least die Vorfreude auf das Kommende. Wie Pfarrer Vorländer zum Schluss der Predigt ermutigte: „So können wir fröhlich aus- und demnächst wieder einziehen in die Immanuel-Kirche – denn Immanuel heißt: Gott ist mit uns.“
Foto(s): Fotoarchiv Pressestelle