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Abschied im Krankenhaus: „Da berührten sich die Seelen!“

„Ich habe erlebt, dass dieser Arbeitsplatz in einer säkularen Welt ein Platz von Kirche in der Welt ist. Es ist wichtig, dass Kirche an solchen Orten sichtbar und erfahrbar wird“, resümiert Elisabeth Lehmann ihre Zeit als Krankenhausseelsorgerin im Krankenhaus Köln-Holweide. Im Juli wurde sie von der Superintendentin des Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch, Andrea Vogel, von ihrem Amt entpflichtet und in den Ruhestand verabschiedet.

„Ich habe hier viele Menschen in existentieller Not getroffen, und das waren gute Begegnungen“, sagt sie. Selbst die, die nicht mehr mit Kirche in Berührung gekommen seien, hätten Kirche im Krankenhaus positiv wahrgenommen. Einige seien sogar nach ihrem Klinikaufenthalt wieder in die Kirche eingetreten.

Mit Menschen auf die Suche gehen
Seelsorgerliche Arbeit hat die Pfarrerin schon immer gereizt. „Mich interessiert die Psyche der Menschen, ihre Lebensgeschichten. Es hatte etwas unglaublich Bereicherndes, zu erfahren, wie unterschiedlich Menschen ihr Leben gestaltet haben und damit zurechtkamen“, berichtet sie von ihrer Zeit im Krankenhaus. Es habe sie fasziniert, zu beobachten, wie Menschen neue Strategien entwickelten, Kraft fanden und diese bewahren konnten. Mit Kranken habe sie sich auf die Suche begeben, „nach dem, was trägt“ – oft auch über den Klinikaufenthalt hinaus.

Gefühlt wie eine Exotin
Doch bis zu ihrem Dienst im Krankenhaus Holweide, wo sie im Jahr 2000 ihre Stelle antrat, war es ein langer Weg. Geboren in Kyritz, in der ehemaligen DDR, wuchs sie, wie sie sagt, „in zwei Welten“ auf. Die eine war ihre Familie – der Vater war Pfarrer –, die andere der „Arbeiter- und Bauernstaat“, in dem sie sich wie eine Exotin gefühlt habe. Die Jugendorganisationen der DDR hat sie gemieden. Das und ihre Herkunft führten dazu, dass ihr die Ausbildung, die sie sich so sehr gewünscht hatte, nicht möglich wurde.

Ausbildung zur Rinderzüchterin
„Ich wollte eigentlich Medizin studieren, dazu brauchte ich Abitur“, erinnert sie sich. Das ging jedoch nur an einer Oberschule, an der man eine sogenannte „Berufsausbildung mit Abitur“ machen konnte. Also ging sie nach der 10. Klasse auf ein Internat und machte dort neben dem Abitur auch eine Ausbildung zur Rinderzüchterin. Das ersehnte Medizinstudium durfte sie trotzdem nicht antreten. Nach dreimaligen abgelehnten Bewerbungen auf einen Studienplatz – in der Zwischenzeit hat sie zwei Jahre als Hilfskrankenschwester gearbeitet – gab sie ihre Pläne auf.

Begrenztwerden im Denken
„Theologie wollte ich anfangs auf gar keinen Fall studieren“, erzählt sie. Doch dann besuchte sie einen Gottesdienst einer Kollegin ihres Vaters. „Der war so schlecht, da dachte ich, das mache ich besser!“, erklärt die 65-Jährige. Und so startete sie 1972 an der Humboldt-Universität in Ostberlin ihr Theologiestudium. Dort lernte sie auch ihren Mann kennen, einen Archäologen. „Eine solche Verbindung wurde in der DDR nicht gerne gesehen, denn Archäologie war an ein politisches Studium gekoppelt, das passte nicht zusammen mit einer Theologin“. Die ständige Kontrolle, das Begrenztwerden im Denken führte dazu, dass beide planten, in den Westen zu gehen.

Von Ost nach West
In Folge der KSZE-Konferenz in Helsinki 1973 (Konferenz über die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) kam Lehmann nach Westberlin, wo sie ihr erstes theologisches Examen an der Kirchlichen Hochschule abschloss. Ihrem Mann war es erst 1979 – unterbrochen durch einen anderthalbjährigen Gefängnisaufenthalt – möglich, ihr in den Westen zu folgen.

Zweites Staatsexamen im Rheinland
Da arbeitete die Pfarrerin bereits als Gastvikarin in Bonn-Bad Godesberg. Es folgte die Hochzeit 1980 und das zweite Staatsexamen. Nach ihrem Hilfsdienst und ihrer ersten Pfarrstelle in Bad Honnef/Aegidienberg sowie einer Zeit als Pfarrerin im Wartestand arbeitete Lehmann in London und anschließend in Erlangen als Lehrerin und Katechetin. Nebenbei engagierte sie sich in Erlangen ehrenamtlich in der Uniklinik. Dann ging es zurück ins Rheinland, erst an die Uniklinik nach Essen, schließlich ins Krankenhaus Holweide, wo sie 17 Jahre lang blieb.

Spüren, dass die Hilfe gut tut
Die Reaktionen der Patienten und ihrer Angehörigen auf ihr seelsorgliches Angebot seien unterschiedlich gewesen: Zum Teil reagierten die Menschen kritisch oder aggressiv, doch miteinander geredet wurde immer. Andere wiederum hätten sie spüren lassen, dass ihre Hilfe ihnen gut tat. Viele Gespräche habe sie erlebt, die eine spürbare Tiefe hatten. „Da berührten sich die Seelen“, glaubt sie. „Viele Worte bekommen eine andere Dimension, zum Beispiel das Vaterunser, dessen verbindende und tragende Energie beim Abschiednehmen in besonderer Weise erfahrbar werden kann“, fügt sie nachdenklich hinzu.

Nur noch dürfen, nicht müssen
Sie selbst hat viele Kraftquellen für ihre manchmal schwere Arbeit gefunden: eine Runde durch den Park spazieren, den Raum der Stille, dessen Einrichtung sie im Krankenhaus mit initiiert hat, Meditation, Yoga und Sport. In ihrem Ruhestand will sie mehr Zeit mit ihren beiden Enkelinnen verbringen. Außerdem freut sie sich darauf, „zukünftig nur noch lesen zu dürfen, nicht zu müssen“. Neben Gartenarbeit will sie ihre Englischkenntnisse auffrischen, Tanztheateraufführungen und Museen besuchen. Der Kontakt mit den Mitarbeitenden werde ihr jedoch fehlen, das weiß sie schon jetzt.

Text: Susanne Hermanns
Foto(s): Susanne Hermanns