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60 Jahre Kriegsende, ist jetzt endlich Schluss?

So fragte – absichtlich provokativ – die Evangelische Kirche im Rheinland und lud auf ihren Internetseiten zum Chatten mit Präses Nikolaus Schneider ein. Der Termin war bewusst gewählt: der 10. Mai, der Tag, an dem in Berlin das Holocaust-Mahnmal von Professor Peter Eisenmann offiziell eröffnet wurde.

Interviews mit Theologinnen und Theologen
Das Thema war klar: Was bedeuten Erinnerung, Verantwortung und Versöhnung heute? Wie füllen wir diese Begriffe mit Leben? Und die Landeskirche hatte sich, gerade im Internet, lange und ausführlich vorher damit auseinandergesetzt. Etwa mit einer Interviewreihe unter dem Titel „60 Jahre Kriegsende“, in der die Autorin Petra Anna Siebert Theologinnen und Theologen nach ihren Erinnerungen an den 8. Mai 1945 befragt hatte. Unter diesen langen, zum Teil sehr persönlichen Interviews war beispielsweise auch eines mit dem ehemaligen Junkersdorfer Pfarrer Richard Mengel. Alle Interviews auf einen Blick hier.

„Wachsam bleiben angesichts neu aufkeimendem Extremismus“
Das Ende des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs vor 60 Jahre war aber auch der Anlass für ein Dossier der Homepage der Evangelischen Kirche im Rheinland. Hier ist etwa in der Erklärung von Präses Schneider zu lesen: „Wachsam bleiben und die Füße weiterhin auf den Weg des Friedens richten!“ Und er meinte damit vor allem dies: „Das Datum des 8. Mai erinnert uns auch daran, dass wir auf eine lange Phase des Friedens blicken dürfen. Dafür sind wir dankbar, weil wir wissen, dass dies in der europäischen Geschichte nicht selbstverständlich ist. Gerade deshalb müssen wir auch weiterhin unsere Füße auf den Weg des Friedens richten und wachsam bleiben angesichts neu aufkeimendem Extremismus in jeglicher Form. “
Der komplette Text dieser Erklärung, die an die mehr als 800 rheinischen Gemeinden zwischen Emmerich und Saarbrücken versandt wurde, ist hier nachzulesen.

Schmerzliche Themen, eigenes Versagen nicht beschönigt
60 Jahre Kriegsende, auch für die EKiR ein Anlass, Dokumente zu sammeln, eine Ausstellung unter dem Titel „Anvertraute Zeit – 150 Jahre Archiv der EKiR“ zusammen zu stellen, aus der im Internet hier Auszüge zu sehen sind.
Dabei werden auch jene Aspekte nicht ausgelassen, die den eigenen Berufsstand, die kirchlichen Institutionen und evangelische Christinnen wie Christen in ihrem eigenen Selbstverständnis schmerzlich berühren müssen.

Beispielsweise das Thema Zwangsarbeit, nachzulesen hier. Aktuell: Die Eröffnung der Ausstellung „Dienen unter Zwang“, die Landeskirchenrat Jörn-Erik Gutheil in Kiew eröffnete, mehr darüber hier. Oder der bewegende Bericht eines Landessuperintendenten im Ruhestand, der nach 60 Jahren zum ersten Mal jene ukrainische Frau besucht, die ím Krieg seiner Familie als Zwangsarbeiterin im Haushalt zugewiesen worden war, hier nachzulesen.

Oder das „Versagen der Evangelischen Kirchenbehörde im Rheinland in der NS-Zeit“, eine Buchbesprechung, nachzulesen hier: Die Historikerin Dr. Simone Rauthe hat rund 190 Fälle von innerkirchlicher Disziplinierung aus den Archiven der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) zusammengetragen: bekannte Namen wie Paul Schneider und Heinrich Held, aber auch viele bislang weniger bekannte Pfarrer und Vikare. In ihrem Buch ‚Scharfe Gegner‘ erinnert sie mit Kurzbiografien an diese Opfer der Kirchenpolitik in der NS-Zeit.“

Oder: „Geistliche an der Front – Pfarrer in Uniform.“ Aus dem Text: „Die Begeisterung der Pfarrer, Hilfsprediger und Diakone der rheinischen Kirche zu Beginn des 2. Weltkriegs war – anders als 1914 – verhalten. [….] Zu Beginn des Kriegs wurden zwanzig Prozent der ca. 1100 rheinischen Geistlichen eingezogen, am Ende war es über die Hälfte. Jeder Fünfte leistete Sanitätsdienst. Bis Ende 1944 fielen 54 Pfarrer und ca. 110 Hilfsprediger, Diakone, Vikare und Theologiestudenten – überwiegend ‚im Osten‘. Helmut Rößler für das Evangelische Konsistorium der Rheinprovinz wie auch Johannes Schlingensiepen für die rheinische Bekennende Kirche stellten Rundbriefe zusammen. Vor allem die Beilagen sollten sowohl der ‚geistlichen Vertiefung‘ als auch der ‚Zurüstung für einen plötzlichen Einsatz in der Verkündigung oder Seelsorge‘ dienen. […] Die Antwortschreiben geben preis, was die Soldaten bewegte: Dienst, Auszeichnungen, Fronterlebnisse, die Nöte als Seelsorger, alliierte Luftangriffe auf die Heimatorte und Wohlergehen der Familie, Verwundungen und Erkrankungen, aber auch Ausbildungsfragen und die Besetzung der Pfarrstellen“.

Text: AL/EKiR
Foto(s): http://www.holocaust-mahnmal.de