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„27. Januar 1945 – 27. Januar 2010. Erinnern, eine Brücke in die Zukunft“ und Gedenkstunde für die aus Köln deportierten jüdischen Kinder

Das Schicksal der Kinder stand im Mittelpunkt der Gedenkfeier „27. Januar 1945 – 27. Januar 2010. Erinnern, eine Brücke in die Zukunft“, mit der in der evangelischen Antoniterkirche an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 55 Jahren erinnert wurde.

Traumatisierung im Krieg und Spätfolgen für die Kinder
Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes erklärte, dass damals wie heute Krieg und Verfolgung traumatisierende Erfahrungen seien. Nicht zuletzt deshalb forderte sie weltweit einen vehementen Einsatz gegen Krieg und Gewalt. Viele Kinder seien während der NS-Zeit aus der so genannten „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen worden. Sie hätten nicht in die Schule gehen dürfen, andere Kinder hätten nicht mit ihnen gespielt. Viele Eltern hätten die Gefährdung der Familie vor den Kindern verheimlicht. Die Kinder hätten deshalb viele Entscheidungen im Alltag nicht verstanden. Viele hätten immer noch Schuldgefühle, wenn sie im Ausland überlebt hätten.

Aus den Erinnerungen der Tochter des Widerstandskämpfers Hein Hamacher
Zu den Überlebenden gehört auch Grete von Loesch, Tochter des Widerstandskämpfers Hein Hamacher, der vom NS-Reime mehrfach inhaftiert wurde. Schülerinnen und Schüler des Apostel-Gymnasiums trugen Auszüge aus den Erinnerungen von Grete von Loesch an jene Zeit vor. Hamacher war ein im Rheinland sehr bekannter Sozialdemokrat. „Ich bewunderte meinen Vater sehr. Er war so viel klüger als andere Männer. Er hatte sich immer eine Tochter gewünscht, weil Mädchen nicht Soldaten werden müssen.“ Hamacher wurde bereits im Juni 1933 zum ersten Mal inhaftiert. Als er nach fünf Monaten entlassen wurde, durfte Grete ihre Mutter begleiten, als die ihren Mann an der Straßenbahnhaltestelle abholen wollte. „Ich habe meinen Vater nicht erkannt“, erinnert sich die Tochter: „Er war ärmlich gekleidet, sehr dünn und sah ungepflegt aus.“ Es folgten weitere Verhaftungen, Deportation in ein Konzentrationslager und Haftstrafen im Zuchthaus. Hamacher kam aber immer wieder auch frei. Besuchen durfte ihn seine Tochter auf Geheiß des Vaters nicht mehr. Ihr sollten die Folgen der Verhörmethoden wie ausgeschlagene Zähne verborgen bleiben, mutmaßte von Loesch. 1936 wurde auch ihre Mutter verhaftet, Gestapo-Beamte brachten die Tochter zu einem Gastwirt, der im gleichen Haus eine Kneipe betrieb. „Der stellte mir erstmal einen Teller dicke Bohnen hin. Ich brachte keine runter, und noch heute wird mir schlecht, wenn ich dicke Bohnen sehe.“ Nach vier Tagen war die Mutter wieder da. Aber sie war sehr krank. Mit gerade mal 31 Jahren fielen ihr die Zähne aus. „Eine Nervensache“, sagte der Zahnarzt. Nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler wurde Hamacher in dem Lager in den Kölner Messehallen interniert. Aber er hatte Glück, denn der Personalrat von Ford, wo er in der Kriegswirtschaft eingesetzt war, konnte seine Freilassung erwirken. Hamacher überlebte den NS-Terror und war nach Kriegsende ein „Mann der ersten Stunde“. Er wurde 1945 Stadtrat und saß später auch für die SPD im Bundestag. Er starb 1974, seine Tochter lebt heute in Frankfurt.

Kinder als „Euthanasie“-Opfer der Nazis
Nicht überlebt hat Nikolaus, ein sechsjähriger Junge aus Köln.Er wurde von Ärzten der Kölner Uni-Klinik in die Psychiatrie in Bonn überwiesen. In seiner Akte stand: „Sippe asozial“. Der Vater war mit einer erheblich jüngeren Prostituierten liiert. Nach dem Tod der Mutter kam Nikolaus in ein Heim, und dann nach Bonn. Bei einem so genannten Intelligenz-Test erklärte er, neun Finger an einer Hand zu haben, seine Mutter sei von Soldaten „totgeschossen worden, genauso wie er selbst auch schon mal von Soldaten totgeschossen worden sei“. Man diagnostizierte „Schwachsinn mittleren Grades“ und überwies den Jungen in eine „Kinderfachabteilung“ in Hessen. So wurden die Stationen genannt, auf denen das Euthanasie-Programm der Nazis umgesetzt wurde. Dort wurde Nikolaus ermordet.

Katholische Taufe als „Überlebenschance“
Hannelore Göttling-Jakoby war Schülerin des jüdischen Gymnasiums Jawne an der St.-Apern-Straße. Zahlreiche Mitglieder ihrer Familie wurden in verschiedenen Konzentrationslagern umgebracht. Kein Nachbarskind wollte mit dem Kind aus einer jüdischen Familie spielen. Göttling-Jakoby erlebte deshalb die Aufnahme in die Jawne wie eine Befreiung. Endlich Freundinnen. Um ihre Überlebenschancen zu erhöhen, ließen die Eltern ihre Tochter katholisch taufen. Der Vater wurde deportiert und ermordet, Mutter und Tochter kamen zunächst im „Judenhaus“ an der Mozartstraße unter. Anschließend wohnten sie in einer Wohnung an der Lochnerstraße. Nachdem sie 1944 ausgebombt wurden, flüchteten sie ins Bergische Land. Dort fiel man auf. Damit Hannelore Göttling-Jakoby in die Schule gehen konnte und lästigen Fragen nach ihrem Schulbesuch aus dem Weg, meldete sie die Mutter als „bombengeschädigt“ offiziell an. Hannelore Göttling-Jakoby lebt heute in Hamburg.

Mahngang zum Erich-Klibansky-Platz
Klaus-Peter Völlmecke vom Kölner Jugendamt schlug einen Bogen in die Gegenwart. „Im vergangenen Jahr kamen 80 unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge nach Köln.“ Um die müsse sich das Jugendamt nach dem Europäischen Minderjährigen-Schutzprogramm kümmern. Diese Kinder und Jugendlichen flüchteten in den meisten Fällen vor Terror und Krieg etwa im Irak, in Afghanistan oder in Afrika. Die Gedenkfeier, bei der die „Voices in Peace“, der Jugendchor der Kölner Synagogengemeinde einige Lieder sang, endete mit einem „Mahngang“ zum Erich-Klibansky-Platz, wo früher das jüdische Gymnasium stand.

Gedenkstunde für aus Köln deportierte jüdische Kinder
Ebenfalls am 27. Januar und ebenfalls auf dem Erich-Klibansky-Platz, fand eine andere, in Köln traditionsreiche Gedenkveranstaltung statt: Die vor Jahren von Dieter und Irene Corbach initiierte Gedenkstunde für die aus Köln deportierten jüdischen Kinder an der Gendenkstätte Löwenbrunnen, veranstaltet von der Synagopgengemeinde Köln, dem katholischen Stadtdekanat und dem Evangelischen Kirchenverband Köln und Region in Verbindung mit dem Arbeitskreis Lern- und Gedenkort Jawne. Erich Klibansky war der Leiter eben des jüdischen Gymnasiums Jawne, an das sich auch Hannelore Göttling-Jakoby erinnerte.

Psalm-Lesung aus hebräisch und deutsch
Nach einer Begrüßung durch Dr. Ursula Reuter und Pfarrerin Ulrike Gebhardt eröffente Stadtsuperintendent Rolf Domning die Gedenkstunde, Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes sprach ein Grußwort, bevor der Schalom-Chor der Synagogengemeinde unter Leitung von Ekatarina Margolin sang. Berührend war die Lesung des auf hebräisch und deutsch vorgetragenen Psalms 79: „Gott, es sind Heiden in deinen Tempel eingefallen; die haben deinen heiligen Tempelt entweiht, und aus Jerusalem einen Steinhaufen gemacht…..“ Die Lesung des Textes auf hebräisch übernahm die Holocaust-Überlebende Ruth-Rebecca Fischer-Beglückter, auf deutsch las ihn Rolf Domning.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Rahmann