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110 Jahre Ortsverband Köln des Deutschen Evangelischen Frauenbundes

Ein Jahr nach der Gründung des überregionalen Deutschen Evangelischen Frauenbundes e.V. (DEF, damals noch Deutsch-Evangelischer Frauenbund) hatte sich in Köln ein Ortsverband gegründet. Das war 1900. Dessen Mitglieder teilten natürlich die Ziele des allgemeinen DEF: Auf der Grundlage des Evangeliums mitzuarbeiten an der „Lösung der Frauenfrage und an der religiös-sittlichen Erneuerung des Volkes sowie an wirtschaftlichen und sozialen Reformen“. Die Praxis sah wie folgt aus: Die Mitglieder (darunter bis 1919 auch einige Männer), von denen in den ersten Jahrzehnten viele dem universitären Umfeld entstammten, engagierten sich in der Kranken- und Altenpflege. Sie betreuten weibliche Strafgefangene, kümmerten sich um ledige Mütter sowie Fabrikarbeiterinnen.



„Bildungsarbeit nach innen und Sozialarbeit nach außen“
Zur praktischen sozialen Arbeit gesellte sich die Bildung. Angeboten wurden „theoretische Einführungen in soziale und allgemein gesellschaftliche Fragen“. Das bedeutete nichts weniger als die Emanzipation der Frau. Noch heute widmet sich der DEF wesentlich der sozialdiakonischen Arbeit und Bildungsarbeit.
Weitere Schwerpunkte, etwa die Gremienarbeit, kamen mit den Jahren hinzu. „Von Anfang van hat der DEF, hat unser Ortsverband Bildungsarbeit nach innen mit Sozialarbeit nach außen verbunden“, fasst Gabriele von Dombois zusammen, und weiter: „Durch sein Engagement für das kirchliche und weltliche Wahlrecht hat der DEF wesentliche Vorarbeit für die gleichberechtigte Teilhabe von Männern und Frauen an der politischen Willensbildung geleistet. Der DEF stellt überdies Vertreterinnen in Gremien des vorparlamentarischen Raumes. Wir setzen uns weiterhin für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein.“

Hilfe zur Selbsthilfe
Von Dombois, inzwischen achtzig Jahre, amtiert seit 1984 als Erste Vorsitzende des Ortsverbands Köln. Dessen „soziales Standbein“ bildete zunächst die 1905 eröffnete „Zufluchtsstätte für unverehelichte Mütter und ihre Kinder“, in der Hilfe zur Selbsthilfe geboten wurde. 1956 weihte der Ortsverband sein im Diakoniedorf Michaelshoven errichtetes „Evangelisches Säuglings- und Mütterheim“ ein. Allmählich wurde es zur heutigen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung umstrukturiert, in der Fünf- bis 21-Jährige aus belasteten Familien- und Lebenssituationen stationär „intensiv pädagogisch begleitet und unterstützt“ werden. Seit 1970 ist diese Einrichtung nach Gertrud Bäumer (1873-1954) benannt, Frauenrechtlerin, Politikerin und Schriftstellerin. Die Trägerschaft des Hauses liegt jedoch nicht mehr beim DEF-Ortsverband Köln. Der übertrug schon im Mai 2003 den Betrieb der Diakonie Michaelshoven e.V. und deren Geschäftsbereich Kinder-, Jugend- und Behindertenhilfe.

Dank-Gottesdienst, Glückwünsche und Theaterspiel
Diese Jahrzehnte lange Verbindung zu Michaelshoven ist auch der Grund, weshalb der Ortsverband sein 110-jähriges Bestehen im Diakoniedorf feierte. Mit vielen seiner 45 Mitglieder und geladenen Gästen. Darunter die DEF-Bundesvorsitzende Inge Gehlert, die Vorsitzenden des DEF-Landesverbandes Nordrhein, Siegrid Leve-Esch und Irmtraud Pütter, sowie Gerhard von Dreusche, Kuratoriumsvorsitzender der Diakonie Michaelshoven e.V., und deren Theologischer Vorstand Birgit Heide. Ein Dank-Gottesdienst in der Erzengel-Michael-Kirche bildete den Auftakt zu einer kleinen „Geburtstagsfeier“, die nur wenige Meter entfernt mit einem Empfang ihre Fortsetzung fand – im Forum des Diakoniedorfes im Süden Kölns. Bürgermeisterin Scho-Antwerpes überbrachte die Glückwünsche der Stadt Köln schon im Gottesdienst. Die DEF-Bundes- und Landesvorsitzenden warteten mit ihren Dankes- und Mut machenden Worten bis zum Empfang. Dort sprach auch Christine Seiger in Vertretung ihres Mannes, Pfarrer Dr. Bernhard Seiger. Dass der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd diese Aufgabe in guten Händen wusste, hat seinen Grund. Seine Gattin ist vielen Mitgliedern als ehemalige 2. Vorsitzende des Ortsverbandes eine „alte Bekannte“.
Für intelligente und dabei DEF-Themenbereiche ansprechende Unterhaltung sorgte die Schauspielerin Hergard Engert. Sie stellte „Die Frau das unbekannte Wesen“ dar. Das Stück beruht auf einem von Verena Joos zusammengestellten Gespräch über die Jahrhunderte hinweg. Ins Gespräch gebracht wurden Hedwig Dom (1831-1919), unter anderem Verfasserin scharfzüngiger Schriften zur Frauenbewegung, und der 1959 geborene FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher, der in seinem Buch „Minimum“ (2006) die Auflösung der Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“ und damit die Schrumpfung sozialer Beziehung prophezeit.

Die lange Geschichte der Frauenfrage und die Zukunft des DEF
„110 Jahre selbst verantwortete Arbeit von und für Frauen durch vier Zeiten: Kaiserreich, Weimarer Republik, „Drittes Reich“ und Bundesrepublik Deutschland“, skizziert von Dombois im Gespräch.
Diese Spanne bedeute eine lange Geschichte der Frauenfrage und der mühevollen Entwicklung mit dem Ziel, Frauen auf gleiche Augenhöhe mit den Männern zu heben.
Die Übergabe des „Gertrud-Bäumer-Hauses“ empfindet von Dombois mehr denn je als Erleichterung und Befreiung. Das hat seinen Grund. „Alles hängt doch vom Engagement einzelner Personen ab.“ Hinzu komme, dass die Mitgliederzahl des Ortsverbandes Köln geschrumpft sei. Sie steht nun bei gut 45 Frauen im Alter zwischen 45 und 95 Jahren. Zumindest die Bildungsarbeit ist noch existent. Jeweils acht bis neun Mal jährlich trifft sich der Literarische Arbeitskreis und wird eingeladen zum Morgengespräch zu Theologie, Kirche, Kunst und Gesellschaft. Fanden diese Treffen, auch zu Vorträgen und anderen Anlässen, früher etwa im Lindenthaler Gemeindezentrum Matthäuskirche oder Martin-Luther-Haus der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Bayenthal statt, kommen die Mitglieder heute eher im privathäuslichen Rahmen zusammen. „Was die Zukunft bringt, ist offen“, bewertet von Dombois die Situation.
In ihrem Fall ist das kein Gemeinplatz. Wenigstens hat der Kölner DEF-Verband eine Zukunft. Das kann man für einige andere Städte nicht behaupten. Beispielsweise löste sich vor einiger Zeit aufgrund von Mitgliederschwund der letzte von einst drei Ortsverbänden in Wuppertal auf. „Diese Tendenz ist überall zu beobachten, nicht nur bei uns, auch in katholischen Vereinen und Verbänden“, erkennt von Dombois ein gesellschaftliches Phänomen.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich