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10 Jahre Runder Tisch für Flüchtlingsfragen

Anfang des neuen Jahrtausends: Köln hatte damals Mühe, den vielen Asylbewerbern und „unerlaubt Eingereisten“ menschenwürdige Wohnmöglichkeiten anzubieten. Als Notlösung versuchten Politik und Verwaltung das Standardangebot für die Unterbringung von Flüchtlingen um Containerschiffe sowie ein Containerlager zu ergänzen. Doch dieser „sehr problematische“ Behelf wurde gesellschaftspolitisch äußerst heftig diskutiert. Groß war der Druck, in der Stadtgesellschaft über Flüchtlingspolitik noch einmal neu zu beraten. So schilderte Peter Krücker die Situation, aus der heraus der Rat der Stadt Köln die Einrichtung des „Runden Tischs für Flüchtlingsfragen“ beschlossen hat. Das war im Juni 2003. Einen Monat später fand die konstituierende Sitzung statt. Seitdem tauschen sich Vertretende der im Sozialausschuss mit vollem Stimmrecht sitzenden Ratsfraktionen, Vertretende von Trägern der freien Wohlfahrtspflege, von Initiativen aus der Flüchtlingsarbeit, verschiedenen städtischen Ämtern, der Polizei, von Glaubensgemeinschaften und kirchlichen Einrichtungen regelmäßig über „grundsätzliche Angelegenheiten zu flüchtlingspolitischen Themen“ aus. Sie erarbeiten „Lösungsvorschläge für drängende Fragen“.

Positive Zwischenbilanz
Das zehnjährige Bestehen des „Runden Tischs für Flüchtlingsfragen“ bot nun Anlass für eine Zwischenbilanz vor Medienvertretenden. Moderiert wurde das Pressegespräch von „Urgestein“ Peter Krücker. Der Mitarbeiter des Caritasverbandes Köln ist als Mitglied des Katholikenausschusses einer der beiden Sprecher des „Runden Tischs“. In dieser Funktion wechselt er sich jährlich mit dem Vertretenden des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region ab. Das war bis November 2008 Superintendent Rolf Domning. Nach dessen Wahl zum Stadtsuperintendenten nahm Jost Mazuch, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Klettenberg, seinen Platz ein. „Es hat sich viel bewegt, um die humanitäre Situation von Flüchtlingen zu verbessern“, fasste Mazuch die Entwicklung zusammen.

Drei konstruktive Arbeitsphasen
Nach Bildung des Gremiums sei es sehr schnell gelungen, die Konflikte in den Debatten auf einen konstruktiven Weg zu bringen, Krücker erzählt von einer erfolgreichen Arbeit. Bereits in der ersten Periode 2003/04 habe man „Leitlinien zur Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen in Köln“ erarbeitet. Vom Rat im Juli 2004 beschlossen, dienen diese seitdem der Verwaltung als Richtlinien für die praktische Umsetzung. Der „Runde Tisch“ begleitet nicht nur diese Umsetzung. Zugleich berät das Gremium und entwickelt es Konzepte zu grundlegenden und weitergehenden Flüchtlingsfragen. In der zweiten Arbeitsperiode kümmerte es sich schwerpunktmäßig um die „aufenthaltsrechtliche Situation von Flüchtlingen“ und die Bleiberechtsregelung. In der 2011 begonnenen dritten Phase fasst es verstärkt auch die Weiterentwicklung von „Konzepten zur Verbesserung des gestiegenen Unterbringungsbedarfs“ und die „Verbesserung der Situation in den Flüchtlingsheimen“ ins Auge. Da sich die Situation sowie der Bedarf vor Ort geändert hätten, müsse ebenso eine Aktualisierung und Neufassung der „Leitlinien zur Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen in Köln“ erfolgen, fordern die Gremiumsmitglieder.

Ein wertvolles Element
Mazuch empfindet die Arbeit am „Runden Tisch“ als „eine unheimlich lohnende“. Einzigartig sei das Kölner Gremium, ein „wertvolles Element“. In ihm komme viel Fachwissen, Engagement und Erfahrung zusammen und man sei stets um Konsens und Lösungen bemüht. „Dabei zeigt sich, wie wertvoll es ist, wenn die städtischen Ämter mit am Tisch sitzen.“ Lösungen würden gesucht etwa im Bereich Krankenversorgung und Kindererziehung. Auch für die Menschen, die sich ohne gültige Papiere in Köln aufhielten. Das seien geschätzt mehrere tausend, „hochgradig angepasste Menschen“. Insgesamt würden die Flüchtlingszahlen erneut und weiter steigen, und zwar dramatisch, berief sich Mazuch auf Prognosen. Das hat mit der europäischenund globalen Entwicklung zu tun. Entsprechend müssten auf europäischer Ebene Änderungen erfolgen, ohnehin die Staaten ihrer Pflicht nachkommen und vermehrt Flüchtlinge aufnehmen „Auf den Kölner Kontext angewendet bedeutet das: Auch wir werden mehr bekommen.“ Der „Runde Tisch“ habe nur einen kleinen Baustein beizutragen. Stadt und Gesellschaft insgesamt müssten sich auf diese dauerhafte Herausforderung einstellen. Mithin auf die Notwendigkeit der Integration, gerade der frühzeitigen Integration von Kindern und Jugendlichen. Auch derjenigen, die ohne Eltern hierher flüchteten.

Modernisierung notwendig
Jürgen Kube, Leiter des Wohnversorgungsbetriebes im Wohnungsamt, erläuterte das System der Dreistufigkeit im Flüchtlings-Programm: Auf die Erstaufnahme zur Stabilisierung der Flüchtlinge folge ihr Übergang in Wohnheime – längstens für drei Jahre – und drittens, zwecks bestmöglicher Integration, die Unterbringung in normalen Wohnungen. „Auch im Hinblick auf den sozialen Frieden“, wie Kube betont. Von Ende 2004 bis 2013 seien 3.100 Flüchtlinge in Wohnungen untergebracht worden. Viele von ihnen haben heute ein Bleiberecht. Bei anderen handelt es sich um Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus oder Inhabende einer Duldung (Aussetzung der Abschiebung). Laut Kube müssten viele der Flüchtlingsheime, die die maximale Zahl von fünfzig bis achtzig Plätzen nicht überschreiten sollten, modernisiert werden. Derzeit bestehen im Stadtgebiet 29 dieser Heime. In ihnen leben insgesamt aktuell über 1600 Menschen. Rund 600 sind in Hotels untergebracht. Zu den geforderten Standards der Flüchtlingsheime zählte Kube eine angemessene Integration und die soziale Betreuung der Flüchtlinge an den Standorten.

"Wir haben eine rechtliche Verpflichtung"
„Es gibt eine unheimlich gute Unterstützung am ´Runden Tisch´“, stellte Stefan Ferber fest. „Nur weil es einen Konsens gab, in einer großen Gemeinsamkeit von Politik, Kirchen, freien Trägern und Stadt, konnte die Aufgabe bewältigt werden“, würdigte der Leiter des Amtes für Wohnungswesen die Arbeit des "Runden Tisches". Die Verwaltung habe die Aufgabe, Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen. Dabei sei der „Runde Tisch“ unglaublich hilfreich. Mit ihm an der Seite könne man auch ganz anders in die Diskussionen um neue Standorte von Heimen hineingehen. Denn aufgrund der kontinuierlich steigenden Flüchtlingszahlen und dem Alter bestehender Wohnheime sei klar, dass „wir als Stadt neue Unterbringungsmöglichkeiten verschiedener Art“ benötigten. Geplant seien mindestens fünf zusätzliche Heime. „Wir sind über jeden Standort froh, den wir finden und nutzen können“, sprach Ferber angesichts kritischer Nachbarschaften von einer stets schwierigen Prüfungslage und komplizierten Situation auf Öffentlichkeitsveranstaltungen. Insgesamt stellte Ferber einerseits eine stärkere Integrationsbemühung fest, andererseits bei Flüchtlingen eine hohe Integrationsbereitschaft. „Wir haben eine rechtliche Verpflichtung, Flüchtlinge zu betreuen.“ Jedoch hält nicht nur Ferber die von Bund und Land bereitgestellten Mittel für unzureichend. Von deren Seite wünschten sich Stadt und Gremium eine weitaus stärkere Unterstützung als bisher.

Gegenwind aus der Bevölkerung
„Die Arbeit des ´Runden Tisches´ ist noch lange nicht beendet“, betonte Gonca Mucuk. Die Ratsfrau sitzt für die SPD im Gremium. „In diesem arbeiten nicht nur unterschiedliche Akteure, sondern auch die demokratischen Ratsfraktionen Hand in Hand. Wir hören, wo der Schuh drückt; überlegen, was können wir gemeinsam tun.“ Mucuk sorgt sich darum, dass es angesichts des vorhandenen Bedarfs und katastrophalen Wohnungsmarktdrucks schwierig sei, geeignete Grundstücke für Heimbauten zu finden. Auch spüre man Gegenwind in der Bevölkerung, hält sie die Einbindung der Öffentlichkeit von Anfang an für notwendig. Nur so könne Sensibilität herbeigeführt werden für das gesamtgesellschaftliche Problem. Zwar stimmten viele einer Unterbringung von Flüchtlingen zu, jedoch nicht vor der eigenen Haustür. FDP-Ratsmitglied Katja Hoyer, nicht Mitglied des „Runden Tischs“, forderte im Namen ihrer Fraktion „einen ehrlichen Dialog“. Leute die Bedenken vortrügen, „sind nicht immer Rechte“. Laut Hoyer benötige man für die Flüchtlingseinrichtungen mehr Sicherheitsmaßnahmen, etwa einen Verwalter vor Ort, ebenso mehr soziale Angebote. Zudem verlangte sie, das Land stärker in die Pflicht zu nehmen.

Den "Runden Tisch" nicht überfordern
„Der ´Runde Tisch´ ist kein Feigenblatt“, sagte Ratsfrau Kirsten Jahn (Ratsfrau für Bündnis 90/Die Grünen). Er habe es geschafft, ganz viele Ratsbeschlüsse zu generieren. Weiterhin sei er eine ernstzunehmende Kraft. Vordringlich sieht sie die humanitäre Unterbringung von Flüchtlingen. „Wenn sie in ordentlichen Wohnungen leben, brauchen sie professionelle Unterstützung“, beispielsweise bei Behördengängen. Dafür müsse Geld bereitgestellt werden. Jahn äußerte sich zuversichtlich, dass die Toleranz der Stadtgesellschaft gegenüber Flüchtlingen wachse. Zugleich mahnte sie, den „Runden Tisch“ nicht zu überfordern. „Dieses globale Problem können wir in Köln allein nicht ändern.“

Flüchtlingshilfe als diakonische Aufgabe
„Wir sind Teil der Stadtgesellschaft“, meinte Mazuch zu der Rolle der Kirchen in der Flüchtlingsarbeit. Die Evangelische Kirche sehe Flüchtlingshilfe als eine ihrer klar definierten diakonischen Aufgaben aus dem christlichen Glauben heraus, so der Pfarrer. Das treffe sich mit der Überzeugung säkularer Einrichtungen und Organisationen, die sich für die Menschenrechte einsetzten. Kirchengemeinden könnten etwa nachbarschaftliche Netzwerke beisteuern, die sich um Integration kümmerten und unkompliziert Hilfe leisteten. „Ich kann den Gemeinden und Netzwerken nur sagen: Guckt da hin.“ Aus einer solchen Aufmerksamkeit seien auch andere kirchliche Initiativen und Projekte entstanden, erinnerte Mazuch beispielsweise an „Asyl in der Kirche“. Laut Krücker haben in den katholischen Gemeinden Flüchtlingsfragen schon immer eine große Rolle gespielt. Dieses Thema „hat einen hohen Stellenwert in der Katholischen Kirche“.

Offizielle Feier
Voraussichtlich im Herbst wird auf Einladung des Oberbürgermeisters die offizielle Feier anlässlich des zehnjährigen Bestehens des „Runden Tisches für Flüchtlingsfragen“ stattfinden

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich