You are currently viewing 10 Jahre Kunst und Kirche mit Volker Pispers in der Lechenicher Kirche der Versöhnung

10 Jahre Kunst und Kirche mit Volker Pispers in der Lechenicher Kirche der Versöhnung

Volker Pispers war der Jubiläumsgast. Mit dem Polit-Kabarettisten feierte die Evangelische Kirchengemeinde Lechenich „10 Jahre Kunst und Kirche“. „Sie sind heute Abend die Auserwählten. Sie sind drin, andere konnten das nicht“, begrüßte Pfarrer Helmut Schneider-Leßmann die Besucher in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche der Versöhnung. Das war dann auch der einzige Wermutstropfen an diesem Abend: Sämtliche Karten wurden von einer Agentur über das Internet verkauft, die Vorverkaufsstelle der Gemeinde hatte das Nachsehen. Schneider-Leßmann nahm es gelassen und freute sich über alle, die sonntags nicht in der Kirche erscheinen. „Vielleicht gefällt es Ihnen heute so gut, dass Sie einmal wiederkommen mögen“ ludt er das Publikum ein.



„Bis neulich“: Wilde Mischung aus alten und neuen Texten
23 Jahre Bühnenerfahrung hat Volker Pispers, sieben Soloprogramme geschrieben und die Kirche kennt er ebenfalls von innen. Neben Anglistik und Pädagogik hat er ab 1976 katholische Theologie studiert. Mit seinem derzeitigen Programm „Bis neulich“ gastierte er zwischen Stuttgart und Osnabrück in Erftstadt-Lechenich und versprach eine „wilde Mischung“ aus alten und neuen Texten.

Lieblings-Schmarotzer sind die Aktien-Analysten
Das Kabarett liegt dem 47-Jährigen am Herzen. Der gebürtige Mönchengladbacher forderte auf, „öfter ins politische Kabarett zu gehen“. Auch zu denen, die nicht so bekannt seien. In seinem eigenen Programm jonglierte der Sprachakrobat mit endlos langen Bandwurm-Sätzen und komplizierten Zahlenkolonnen. Und postierte gekonnt Pointen dazwischen – als habe er sie gerade erfunden. Alle bekamen ihr Fett weg: Die FDP forderte er auf „ein halbes Jahr auf Steuerhinterzeihung zu verzichten“ und erklärte gleichzeitig „Steuerhinterziehung gilt bei uns als Notwehr“. Nur wer bei Hartz IV falsche Angabe mache, gelte nach Wolfgang Clement als Parasit. Parasiten nennt Pispers vor allem die Investment-Banker, „die anderer Leute Geld Gassi führen“. Ebensolche Parasiten seien Unternehmensberater wie McKinsey, die sich „echten Herausforderungen gestellt“ haben mit der Umfrage „Warum sind Lidl und Aldi so erfolgreich?“, um schließlich herauszufinden „Es liegt am Preis!“.

„Würde man endlich nach Leistung bezahlen, wäre man den Großteil der Schmarotzer wieder los“, so der Kabarettist. Seine Lieblings-Schmarotzer sind die Aktienanalysten. Das stecke schon im Wort selbst: Anal und Lyse. Ob Aktienanalysten, Investment-Banker oder Unternehmensberater, für Pispers ist klar: Wären sie morgen tot, niemand würde sie vermissen.

Von Kohl die „sprachliche Eleganz“, von Schröder die „Prinzipienlosigkeit“

Sodann resümierte Pispers über die letzte Bundestagswahl. In der so genannten Elefantenrunde gab es „einen Elefant und der Rest war Porzellanladen“. Gemeint war Gerhard Schröder. Über Angela Merkel philosophierte er: „Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass das immer die gleich Frau ist. Die auf den Plakaten und die im Fernsehen“. Sie habe mindestens so viele Doppelgänger wie Saddam Hussein. Von Kohl habe sie übrigens die sprachliche Eleganz und von Schröder die „Prinzipienlosigkeit“. Einen „Einzeller im Maßanzug“ nannte er Guido Westerwelle und „Polit-Phrasen-Zerstäuber“ Edmund Stoiber. Köhler isat die Steigerung von Kohl. Einzig Oskar Lafontaine sei ein Charakterschwein, der habe bei der Wiedervereinigung die Wahrheit gesagt und sei dafür gescholten worden.

In dem dreistündigen Programm beschrieb er die Absurditäten dieser Welt, betrieb Amerika-Schelte, gab seine Erkenntnisse zu Tempolimit, Erbanlagen, biometrischen Fingerabdruck und über das Verhältnis von Lehrern und Eltern preis. Sichtlich betroffen wirkte Pispers jedoch, als er über AIDS-Kranke in Südafrika, über Folter- und Kriegsopfer im Irak und über sterbende Kinder in Beslan sprach. Da schien es fast, als habe er eine Mission zu erfüllen und wolle die Welt zum Besseren führen.

Kirche wird zur Heimat und stiftet neue Beziehungen

Eine Menge mitzuteilen hat auch die Evangelische Kirchengemeinde Lechenich. Deshalb wurde vor zehn Jahren das Format „Kunst und Kirche“ gegründet. Für die Gemeinde eine Möglichkeit der Öffentlichkeitsarbeit. „Wir wollen uns präsentieren und die Menschen neugierig machen auf das, was diese Gemeinde zu bieten hat“, erklärt Pfarrer Helmut Schneider-Leßmann. Außerdem sei der Kirchraum der „Kirche der Versöhnung“ geradezu ideal für Ausstellungen. „Manche beschreiben den Raum als nüchtern, man kann aber auch sagen, dass er sehr offen ist“. Die ausgestellte Kunst verändere den Kirchenraum – und umgekehrt. „Die Menschen, für die diese Kirche bestimmt ist, haben plötzliche eine ganz neue Einstellung zu ihrer Kirche bekommen. Sie haben sie liebgewonnen und schätzen gelernt“. Und eben nicht nur zu Gottesdiensten oder in einem Konzert, sondern beim Entstehen neuer Beziehungen – zum Beispiel nach einer Veranstaltung der Reihe „Kunst und Kirche“. Da hört Schneider-Leßmann schon mal Sätze wie „Hier ist meine Heimat, hier passiert was, hier komme ich gerne hin“.

Vom Kabarettisten, der eine Predigt geschrieben hat

„Wir schaffen es, Anlässe zu haben, so dass einmal im Monat die Kirche voll ist“, freut sich der Lechenicher Pfarrer. Das können geistliche Themen sein, aber auch Gottesdienste, in denen 40 Kinder aus der Kinderkirche ein Mini-Musical aufführen. Oder 60 Konfirmandinnen und Konfirmanden, die ihre Ergebnisse zum „Sinn des Lebens“ vorstellen. So sollte der angefragte Ferdinand Linzenich eigentlich als Kabarettist in der Kirche auftreten, der hat jedoch „eine Predigt geschrieben“ und alle haben „ganz fromm und andächtig zugehört“.

Hanns Dieter Hüsch hat sich sechs Jahre lang bitten lassen

„Wir jonglieren mit den Formen. Und haben das Glück eine hervorragende Headhunterin zu haben, die vielen Agenturen bekannt ist und mit dem Zeitgeist lebt“. Der Pfarrer spricht von Ursula Schemann, die schon lange zur Gemeinde gehört und sich immer wieder fragt „Wer kommt bei den Menschen gut an?“ Hanns Dieter Hüsch habe sie sechs Jahre lang „nerven“ müssen, bis er in die Kirche der Versöhnung kam. Aber er kam. Ebenso wie die wise guys, Kleine und Linzenich, Jürgen Becker, Heinrich Pachl, Dr. Stratmann, Ernst Stankowski, Rainer Pause und viele andere.

Und dass die Gemeinde keine Karten in der Vorverkaufsstelle kaufen kann, wird in Zukunft nicht mehr passieren, verspricht Schneider-Leßmann. „Wir wollen mit diesen Veranstaltungen ja Zugangsmöglichkeiten zur Kirche schaffen“.

Text: Angelika Knapic
Foto(s): Bianca Wilkens