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1-Euro-Jobs oder Förderjobs? Chance oder Schande? 60 neue Arbeitsplätze und eine Einladung zur Diskussion.

Mensch & Arbeit – Förderinitiative RheinBerg
Die Evangelische Kirchengemeinde Bergisch Gladbach will Zeichen setzen und geht deshalb richtig ran: Für insgesamt 60 Arbeitslose schafft sie 1-Euro-Jobs in fast allen Arbeitsfeldern von Kirche und Diakonie. „Mensch & Arbeit – Förderinitiative RheinBerg“ heißt das Projekt, das seit 25. Oktober läuft und sich durchaus noch personell ausweiten könnte.

Chance für Arbeitslose
Die Agentur für Arbeit hatte die „Arbeitsgelegenheiten“ gegenüber dem Bergisch Gladbacher Pfarrbezirk Gnadenkirche/Stadtmitte und dem Q1 Jugend-Kulturzentrum ins Gespräch gebracht, weil sie deren guten Ruf und deren Erfahrungen in der diakonischen Arbeit schätzt. Gnadenkirche-Pfarrer Thomas Werner und seine Mitarbeiterschaft erkannten das Projekt sogleich als Chance für die betroffenen Arbeitslosen. Zudem konnte er als Vorsitzender des Presbyteriums der Evangelischen Kirchengemeinde Bergisch Gladbach Kollegen und Presbyter dafür gewinnen, sich gemeinsam dieser Aufgabe zu stellen.

Nicht kleckern, sondern klotzen
„Es ist erschreckend, wie viele qualifizierte Leute auf der Straße stehen“, sagt Thomas Werner. Die Überzeugung: „Je größer und gründlicher man die Maßnahme anlegt, desto stabiler läuft sie.“ Nicht kleckern, sondern klotzen. Wenn schon, denn schon. „Wir würden auch 300 nehmen.“ Gemeinsam mit der Bergisch Gladbacher Agentur für Arbeit wurde ein Konzept gestrickt, das 20 Jugendliche, 20 Frauen und 20 weitere Erwachsene im Rahmen der 1-Euro-Jobs in den Gemeindedienst stellt. Das Willkommen mit Kaffee und belegten Brötchen war Ehrensache und das Team stellte fest: „Die Leute sind total motiviert.“  Etwa die Hälfte der neuen Kräfte arbeitet im Evangelischen Krankenhaus (EVK) Bergisch Gladbach in den Bereichen Betreuung, Pflege, Garten und Hausmeistertätigkeiten. Die übrigen 30 sind an verschiedenen Standorten tätig: Die sechs Kindereinrichtungen der Kirchengemeinde können auf je zwei Mitarbeiter zählen, das Q1 Jugend-Kulturzentrum sowie die Gnadenkirche mit Friedhof und altem denkmalgeschützten Gräberareal auf je vier.

Neu: Der Mobile Gemeindeservice
Der Clou ist jedoch eine innovative Idee: Zehn Personen bilden den „Mobilen Gemeindeservice“, eine handwerklich geschickte Kolonne, deren Dienste jederzeit von allen Pfarrbezirken abgerufen werden können. Zum Beispiel, wenn es ums Tapezieren, Grünpflege oder auch Hilfen für Senioren geht.

Die Organisation des Projekts lässt sich nicht nebenbei bewältigen. Deshalb hat die Kirchengemeinde Bergisch Gladbach zweieinhalb Stellen für Sozialpädagogen geschaffen: Elke Hauptmeier und Thomas Maria Icking koordinieren als Projektleiter die Maßnahme, führen die Gespräche mit den Bewerbern und kümmern um sich die Details vor Ort. Dabei betonen sie nach innen und außen immer wieder, dass sie den Begriff „1-Euro-Job“ vermeiden. Er erwecke einen falschen Eindruck. Besser sei „Förderjob“, denn dieser Euro pro Stunde werde zusätzlich zu Arbeitslosenhilfe und anderen Zuwendungen gezahlt. Keinesfalls sei er als Lohn zu verstehen, sondern als eine Art Aufwandsentschädigung, weil der Arbeitslose nun höhere Kosten habe.
Mit den beiden Projektleitern arbeitet – als dritter im Bunde – Andreas Guhl eng zusammen. Der 38-Jährige, der seit Sommer arbeitslos war, hat ebenfalls seit 25. Oktober eine neue Anstellung im Rahmen der Aktion „Mensch & Arbeit“: Als handwerklicher Fachanleiter berät er die Kräfte des Mobilen Gemeindeservices, teilt sie ein und unterstützt sie. Ein echter Gewinn, freuen sich die Projektleiter. Denn Andreas Guhl hat vier Berufe und zwei Zusatzqualifikationen. Er ist Gärtnermeister, Umwelttechniker, Forstwirt, Agrarwirtschafter, Jäger und Jagdaufseher. Zudem hat er als Fachanleiter in Arbeitslosenprojekten über zehn Jahre Erfahrung.

Die Folge kann sein: eine dauerhafte Anstellung
Für die Agentur für Arbeit sind die angelaufenen Maßnahmen ein neuer Weg der Arbeitsvermittlung. „Das Arbeitsamt sieht eine Chance darin, dass die Leute wieder eingegliedert werden“, sagt Johann Acs von der Bergisch Gladbacher Pressestelle der Arbeitsagentur. Sie kämen wieder in den Arbeitsrhythmus und dürften zeigen, was in ihnen stecke. „Der hat was auf dem Kasten“, stelle der Träger dann womöglich fest und beschäftigte ihn oder empfehle ihn weiter. Das eigene Tun als Visitenkarte? Das sei keine Theorie, sondern es gebe bereits „positive Beispiele“ bei ähnlichen Projekten mit Arbeitslosen unter 25 Jahren. Bei „Mensch & Arbeit“ gibt’s sogar bereits eine konkrete Perspektive: Das EVK hat signalisiert, einige der 1-Euro-Job-Kräfte möglicherweise dauerhaft anzustellen.

Im Mittelpunkt steht der Mensch
Für Pfarrer Thomas Werner und seine Mitarbeiterschaft sind zwei Punkte bei „Mensch & Arbeit“ sehr wichtig. Von zentraler Bedeutung ist vor allem dieser: „Im Mittelpunkt steht für uns der Mensch. Wir gehen auf jeden individuell ein. Auf das was er kann, was er möchte und wo er wohnt. Wir versuchen, den bestmöglichen Job für jeden zu finden.“ So müsste eine arbeitslose Arzthelferin aus Overath nicht zwingend ihren 1-Euro-Job bei der Kirchengemeinde Bergisch Gladbach ausüben, sondern ließe sich in Kooperation mit evangelischen Einrichtungen durchaus in Overath selbst einsetzen. „Wir arbeiten mit dem Amt für Diakonie zusammen.“ Von daher könnten diejenigen, die bei „Mensch & Arbeit“ mitmachen, im ganzen bergischen Raum tätig sein. Übrigens haben sie dadurch nicht nur Arbeit, sondern werden – egal was sie tun – persönlich und beruflich qualifiziert.

Was sonst wegfallen müßte, kann jetzt geleistet werden
Der zweite wichtige Punkt für den Pfarrer ist die „reine Zusätzlichkeit“ dieser Arbeitsangebote. Es gehe um Tätigkeiten, die sonst unterblieben, oder um das Schaffen von Freiräumen für andere Mitarbeiter, die dann zu Dingen kämen, die im Alltag meist hinten runter fielen. Das könne Projektarbeit in Kindergärten genauso sein wie die Ausweitung von Internetangeboten, Umgestaltung von Räumen, gärtnerische Arbeit oder das Vorlesen bei einer Seniorin. Durch die 1-Euro-Jobs würde keinem anderen Arbeit weggenommen, denn dafür sei schlicht kein Geld da. „Es braucht aber auch keiner Angst zu haben, dass wir Stellen wegrationalisieren.“ Denn die 1-Euro-Jobs sind nicht von Dauer: Sie laufen nur ein halbes Jahr und können nur auf maximal ein Jahr verlängert werden. „Wir hoffen aber für alle, ihnen neue Perspektiven zu eröffnen und sie in feste Arbeitsverhältnisse zu bringen“, sagt Thomas Werner. „Denn Arbeit zu haben und arbeiten zu dürfen ist dem Evangelium nach – und das besonders in diesen Zeiten – eine Gnade“

Informationen zum Projekt
Elke Hauptmeier und Thomas Maria Icking, Telefon (0 22 02) 45 89-41/42

Einladung zur Diskussion mit Fachleuten
Das Altenberger Forum thematisiert am 16. 11. (unter Moderation der Autorin dieses Beitrags, Ute Glaser) den „1-Euro-Job – Chance oder Schande? …“ mit Hans-Peter Bolz (Geschäftsführer der Caritas Rhein-Berg und AG der Wohlfahrtsverbände), Thomas Hartung (Projektleiter des Erwachsenenbildungswerkes Nordrhein e.V.), Martin Klebe (Leiter der Agentur für Arbeit in Bergisch Gladbach) und Dr. Thomas Münch (Vorsitzender des Sozialethischen Ausschusses des Evangelischen Stadtkirchenverbandes Köln) auf dem Podium, Besuchende und Betroffene sind ausdrücklich eingeladen, Fragen zu stellen und mitzudiskutieren. Näheres in der Pressemitteilung hier.

Noch mehr Infos – die Position der Wohlfahrtsverbände
Die großen Wohlfahrtsverbände Kölns – unter ihnen das Amt für Diakonie – haben sich in einem Positionspapier selbst verpflichtet: „Zusatzjobs nur mit Qualifizierung, Begleitung und Freiwilligkeit“, so ihr Credo. Mehr darüber hier.

Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser